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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0477
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Kausale und »verständliche« Zusammenhänge

sehen ganz aufmerksam, lächelt einmal den Arzt an, schaut dann wieder düster drein. Manch-
mal macht sein Ausdruck einen ratlosen Eindruck.
Wiederholt deutet er an, er vermute im Arzt eine bekannte Person. Auf die Frage, wer er denn
sei, verbirgt er seinen Kopf in die Kissen, schluchzt, ohne daß man den Eindruck hat, er sei
gemütlich besonders berührt. Dann sagt er leise vor sich hin: »Diese Frage durfte nicht getan
werden.« Dabei haben die Gebärden etwas Theatralisches. Schließlich sagt er in sich selbst
bedauerndem Tone, er sei der Sohn eines Mannes, den man für verrückt halte. »Sie wissen schon,
wen ich meine.« Nach langer Pause und eindringlichen Fragen, sagt er ohne jeden Stolz: »ich
bin der Sohn des Königs Otto von Bayern«.862
Er verspricht, den Anforderungen zu folgen, im Bett zu bleiben und reicht zum Abschied
freundlich die Hand.
In der Nacht schlief der Kranke wenig trotz Schlafmittel und verließ wiederholt das Bett. Am
Morgen erzählte er: er habe einen Kampf durchmachen müssen, der aber noch nicht zu Ende
sei. Er wolle die Welt erlösen, dies sei noch nicht gelungen. Wenn er gestern gesagt habe, er sei
der Sohn des Königs Otto, dann sei es noch nicht soweit gewesen wie heute, heute sei er der Teu-
feE Er hat die ganze Nacht Stimmen gehört, die ihm zuriefen und ihn neckten, aus den Möbeln
und von der Straße kamen. Eine geordnete Unterredung ist wieder nicht möglich. Er schweift
im Reden weiter und sagt z.B.: »Die Welt ist in mir. Sie sind auch in mir, ich bin auch in Ihnen.
Die Welt ist für mich Phantasie, nicht Wirklichkeit. Die Stimmen sind auch in mir, denn die
Welt ist ja in mir.«
Der Gesichtsausdruck scheint meist gleichgültig, dann wieder ratlos. Die Hände hält er in die
Höhe mit gespreizten Fingern. Er motiviert das damit, daß die Haut jucke, wie wenn kleine Wür-
mer darin herumkröchen oder Rattengift darin sei. Beim Weggehen gibt er zunächst nicht die
Hand, weil es jucke; nach einigem Zögern schüttelt er aber die Hand des Arztes unter freundli-
chem Lachen. Tagsüber rennt er plötzlich impulsiv aus dem Zimmer, mit schnellen Schritten,
bleibt auf dem Korridor unschlüssig stehen und läßt sich dann willig zurückführen. Mitten in
der Unterredung lief er einmal auf den Abort und blieb dort lange sitzen.
374 | In der folgenden Nacht (Donnerstag zu Freitag) verunreinigte er das Bett mit Kot, urinierte in
ein Trinkglas. Er gibt als Motiv an: er wisse wohl, daß es unschicklich sei, Stimmen hätten es
befohlen.
Abends äußerte er, man habe ihn in N. durch Morphium-Injektion vergiften wollen, korri-
giert dann, das sei wohl nur zur Beruhigung geschehen. Auch hier hat er an Speisen Gestank
wahrgenommen. Er vermutete vorübergehend, das Ministerium, das ihm die Rückgabe seiner
Examensarbeit verweigert habe, wolle ihn mit Hilfe der Anstalt auf die Seite schaffen.
Von Tag zu Tag besserte sich der Zustand. Der Kranke hörte im Garten noch neckende Stimmen,
»er höre aber nicht darauf«. Nach etwa weiteren io Tagen ist er völlig besonnen, geordnet und
zugänglich. Anfangs gab er an, er versuche selbst damit fertig zu werden, manchmal gelinge es
ihm aber für kurze Zeit nicht, Wirklichkeit und Phantasie scharf zu trennen. Über seine psycho-
logischen Inhalte suchte er anfangs mit einem Scherz hinwegzugehen, jetzt ist er zu eingehen-
der Auskunft bereit und hält den Zustand für durchaus krankhaft.
Sein Bruder, der ihn besuchte (27. Mai) fand seinen Zustand so gut, wie er ihn in den letzten
zwei Jahren nicht mehr gesehen habe. Vom Spaziergang mit seinem Bruder kehrte er nicht
zurück, reiste vielmehr in seine Heimat. Am nächsten Tage kam er müde und etwas deprimiert
wieder in die Klinik. Nun begann die eingehende Exploration, die die Grundlage der Schilderung
seiner Erlebnisse sein wird.
 
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