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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0507
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Kausale und »verständliche« Zusammenhänge

wurde ich durch verschiedene Bureaus geführt, auf einem offenen Wagen nach dem Peer
gebracht und in den Norddeutschen Lloyd-Dampfer S. eingeliefert. Am Tage der Ankunft in Bre-
merhaven begleitete mich ein Mann nach einer Droschke und lieferte mich in ein Gebäude ein,
in dem ich durch die »Bestimmungen resp. Vorschriften«-Tafeln das Polizeigefängnis zu Bremer-
haven erkannte. Ich machte dem Herrn Gefängnisaufseher alle gewünschten Angaben ... wir
fuhren nach Heidelberg. Ich war unter dem Eindrücke, daß es sich um einen groben Unfug mit
meiner Person handelte, der mit meiner Rückkehr in meine engere Heimat der Aufklärung näher
kam und war guten Mutes und suchte mich nach so langer schwerer Zeit, die ich durchgemacht
hatte, durch alle möglichen Allotria zu unterhalten und gleichzeitig mir durch Nachdenken über
alles, was ich erlebt hatte, einen Anhaltspunkt, der zu meiner Festnahme am 28. September 1907
in New York geführt hatte, zu konstruieren. Die Herren Doktoren sind jedenfalls durch diese Art
und Weise meines Betragens in der Anfangszeit an meiner geistigen Verfassung irre geworden
und kann ich versichern, daß ich mich geistig und körperlich vollkommen normal und gesund
und kräftig gefühlt habe und mich fühle ... Ich sehe ja ein, daß ich aus Unwissenheit über meine
eigene Lage mich einiger Fehler schuldig machte, und bitte, solche nicht zu bemerken.«
Aus den letzten Bemerkungen geht schon hervor, daß der Kranke fast völlig einsichtslos ist.
Er ist besonnen, macht verständige Zukunftspläne, hat Drang zur Arbeit, bedenkt eine bevor-
stehende militärische Übung, gibt höchst schlagfertige, intelligente Antworten, ist in jeder
399 Beziehung geordnet, mit einem Wort: er ist gesund bis auf den einen Punkt: er sieht | nicht ein,
daß er geistig krank war. Es war nur Allotria und Ulk, was er getrieben hat. An seinen Halluzina-
tionen hält er als an einer Wirklichkeit fest, wenn auch alles ein Rätsel ist. »Ich müßte mich für
verrückt halten, wenn ich mir das eingebildet hätte.« Ganz zweifellos waren Bilder in seinem
Zimmer, ganz zweifellos war auf der Straße ein lebendiger Hund einige Minuten lang wie ein
durch Maschinerie bewegter Gummihund, bis er wieder lebendig davonsprang. Seine Erklärun-
gen bringt er gegenüber seinen elementaren Erlebnissen als bloße Vermutungen vor. Er unterschei-
det kritisch zwischen Erfahrung und Deutung. Und eine ihn befriedigende Erklärung findet er
nicht. Die Annahme, daß der R. dahintergesteckt habe, hält er auch für eine bloße Vermutung. Es
bleiben die Gewalttat und alle anderen Erlebnisse jener Zeit für ihn ein Rätsel. In diesem Zustand
wurde der Kranke entlassen. Einige Monate später berichtete der Bruder, anfangs habe der
Kranke nicht an seine Krankheit glauben wollen, später sei er aber ganz einsichtig geworden.
Von Anfang an habe er vorzüglich im brüderlichen Geschäft mit gearbeitet, sei dann in ein gro-
ßes Kaufmannsgeschäft, in dem er auch gelernt habe, eingetreten und werde nun als Filialvor-
stand nach einer Großstadt gehen. Hier lebt er seit 4 Jahren. Wir hörten nicht von einer Wie-
dererkrankung. Er hat sich 1912 eine Lebensversicherung genommen. Aus den Angaben der
Vers.-Gesellschaft konnten wir entnehmen, daß er mit Erfolg in seinem Geschäft arbeitet.
b) Während der Bedeutungswahn nur im Beginn der akuten Psychose eine Rolle
von Belang spielt, sind die meisten Erlebnisinhalte der akuten Psychose dem Kranken
als Bewußtheiten gegeben, die wohl die Form für die Hauptmenge der Inhalte bilden,
und die, durch Halluzinationen (Stimmen, Geräusche usw.) ergänzt, das psychotische
Erleben aufbauen.
Die Bewußtheit ist als unanschauliches Gegenwärtigsein eines Inhaltes von Ach in
der Normalpsychologie beschrieben worden.913 Solche völlig unanschauliche Bewußt-
heiten gaben dem Kranken z.B. die Inhalte des außerirdischen Weltgeschehens. Wie
weit im übrigen anschauliche Elemente hinzutreten, läßt sich kaum entscheiden. Der
 
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