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Kausale und »verständliche« Zusammenhänge
Die seelischen Veränderungen, die Arten neuer Lebensstimmung, neuer Lebensgefühle,
die durch die schizophrenen Krankheitsprozesse auftreten, sind schwer zu verstehen
und schwer zu beschreiben. Es ist nicht gelungen, sie so zu beschreiben, daß man sagen
könnte, diese Lebensstimmungen kämen nur als Folge dieser Prozesse vor. Wir können
sie ferner mit Aussicht auf Erfolg nur bei differenzierteren, begabteren Menschen stu-
dieren. Haben wir sie bei diesen erfaßt, werden wir sie leichter in der undifferenzier-
ten Form der gewöhnlichen Fälle wiederfinden. Aber begabtere Kranke mit einem schi-
zophrenen Prozeß sind selten - vielfach aus Mangel an Gelegenheit - zum Gegenstand
wissenschaftlicher Untersuchung gemacht.
Man wird zunächst sich das Material der objektiven Zeichen zu verschaffen suchen,
die Inhalte des Denkens, die Eigenart der Wertungen, die Weise der Lebensführung
usw., und von diesen aus unter Zuhilfenahme der Schilderungen des Kranken, die er über
seine vergangenen Seelenzustände gibt, und der Beurteilungen, die er ihnen zuteil wer-
den läßt, in den subjektiven Quell der bloß äußeren Zeichen zu dringen suchen. Sol-
che psychologische Versuche werden uns eher lehren, das Wesen dieser Symptomen-
komplexe deutlicher abzugrenzen, als es durch bloß wertende Beurteilung der objektiven
Symptome als minderwertige Leistung, Verschrobenheit, Verworrenheit, Zusammen-
hanglosigkeit, Maniriertheit, Autismus usw. möglich ist. Unser Kranker lehrt uns in
dieser Richtung nun leider auch nichts endgültig Klares, aber als konkreten Beitrag
halten wir ihn als Material nicht für wertlos.
Es traten drei Phasen vermehrter philosophischer Beschäftigung auf, 6 Jahre, 4 Jahre vor
der Psychose und die letzten 2V2 Jahre. Wir haben Grund zur Annahme, daß jedesmal
der Prozeß einen Schub machte (plötzlich auffallendes Benehmen auch in anderer
Beziehung). Von der ersten Phase haben wir nichts Näheres erfahren, in der zweiten
Phase beschäftigte ihn das Problem von Leib und Seele (vgl. Krankengeschichte S. 435).
Wie die Namen der studierten Philosophen und die Reihenfolge zeigt, war das Problem
für ihn keine kühle wissenschaftliche Frage, sondern Ausdruck metaphysischer Neigung.
Während dem rein wissenschaftlichen Menschen, der immer auf der Empirie fußt,
jene Frage ziemlich gleichgültig ist, weil sie gar nicht beantwortet werden kann, und
weil ihm für seine empirischen Zwecke bald diese, bald jene Vorstellungsweise als Hilfs-
mittel brauchbar ist, ist dasselbe Problem dem Metaphysiker ein Erlebnis. Etwas vom
Wesen der Welt liegt ihm in der Aufgabe dieses Problems. Die Weise, wie unser Kran-
ker das Problem in Angriff nahm, und wie er damit fertig wurde, ist bemerkenswert.
Sein Resultat, daß beide Theorien mit gleichem Recht vertreten werden können, ist
theoretisch einwandsfrei, ein Zeichen ehrlicher Kritik. Aber es ist zugleich ein Zeichen,
daß er unfähig ist, seiner metaphysischen Neigung Genüge zu leisten. Metaphysik bedarf
nicht nur des Erlebens des Probleminhalts als eines überwältigenden, sondern auch
405 der Fähigkeit zum Stellungnehmen, zum Schaffen, dem das kri|tische Denken nur Mit-
tel ist, nicht Maßstab. Das vermochte der Kranke nicht, und er erlebte das erste Fiasko
seiner metaphysischen Bedürfnisse.
Kausale und »verständliche« Zusammenhänge
Die seelischen Veränderungen, die Arten neuer Lebensstimmung, neuer Lebensgefühle,
die durch die schizophrenen Krankheitsprozesse auftreten, sind schwer zu verstehen
und schwer zu beschreiben. Es ist nicht gelungen, sie so zu beschreiben, daß man sagen
könnte, diese Lebensstimmungen kämen nur als Folge dieser Prozesse vor. Wir können
sie ferner mit Aussicht auf Erfolg nur bei differenzierteren, begabteren Menschen stu-
dieren. Haben wir sie bei diesen erfaßt, werden wir sie leichter in der undifferenzier-
ten Form der gewöhnlichen Fälle wiederfinden. Aber begabtere Kranke mit einem schi-
zophrenen Prozeß sind selten - vielfach aus Mangel an Gelegenheit - zum Gegenstand
wissenschaftlicher Untersuchung gemacht.
Man wird zunächst sich das Material der objektiven Zeichen zu verschaffen suchen,
die Inhalte des Denkens, die Eigenart der Wertungen, die Weise der Lebensführung
usw., und von diesen aus unter Zuhilfenahme der Schilderungen des Kranken, die er über
seine vergangenen Seelenzustände gibt, und der Beurteilungen, die er ihnen zuteil wer-
den läßt, in den subjektiven Quell der bloß äußeren Zeichen zu dringen suchen. Sol-
che psychologische Versuche werden uns eher lehren, das Wesen dieser Symptomen-
komplexe deutlicher abzugrenzen, als es durch bloß wertende Beurteilung der objektiven
Symptome als minderwertige Leistung, Verschrobenheit, Verworrenheit, Zusammen-
hanglosigkeit, Maniriertheit, Autismus usw. möglich ist. Unser Kranker lehrt uns in
dieser Richtung nun leider auch nichts endgültig Klares, aber als konkreten Beitrag
halten wir ihn als Material nicht für wertlos.
Es traten drei Phasen vermehrter philosophischer Beschäftigung auf, 6 Jahre, 4 Jahre vor
der Psychose und die letzten 2V2 Jahre. Wir haben Grund zur Annahme, daß jedesmal
der Prozeß einen Schub machte (plötzlich auffallendes Benehmen auch in anderer
Beziehung). Von der ersten Phase haben wir nichts Näheres erfahren, in der zweiten
Phase beschäftigte ihn das Problem von Leib und Seele (vgl. Krankengeschichte S. 435).
Wie die Namen der studierten Philosophen und die Reihenfolge zeigt, war das Problem
für ihn keine kühle wissenschaftliche Frage, sondern Ausdruck metaphysischer Neigung.
Während dem rein wissenschaftlichen Menschen, der immer auf der Empirie fußt,
jene Frage ziemlich gleichgültig ist, weil sie gar nicht beantwortet werden kann, und
weil ihm für seine empirischen Zwecke bald diese, bald jene Vorstellungsweise als Hilfs-
mittel brauchbar ist, ist dasselbe Problem dem Metaphysiker ein Erlebnis. Etwas vom
Wesen der Welt liegt ihm in der Aufgabe dieses Problems. Die Weise, wie unser Kran-
ker das Problem in Angriff nahm, und wie er damit fertig wurde, ist bemerkenswert.
Sein Resultat, daß beide Theorien mit gleichem Recht vertreten werden können, ist
theoretisch einwandsfrei, ein Zeichen ehrlicher Kritik. Aber es ist zugleich ein Zeichen,
daß er unfähig ist, seiner metaphysischen Neigung Genüge zu leisten. Metaphysik bedarf
nicht nur des Erlebens des Probleminhalts als eines überwältigenden, sondern auch
405 der Fähigkeit zum Stellungnehmen, zum Schaffen, dem das kri|tische Denken nur Mit-
tel ist, nicht Maßstab. Das vermochte der Kranke nicht, und er erlebte das erste Fiasko
seiner metaphysischen Bedürfnisse.