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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0520
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Kausale und »verständliche« Zusammenhänge

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Ordnung schaffen, die er vorher gefordert hatte. Das Ganze soll eine Einheit sein. Es soll
aufhören der Gegensatz von Ja und Nein, der Kampf, das Schwanken, die Zerrissen-
heit, der Gegensatz von Gott und Teufel. Einheit des Ganzen war jetzt das Problem. Es
gelang nicht. Immer blieb Uneinigkeit und Streit. Als schließlich die irdischen Welten
zur Einheit geordnet waren, kam die außerirdische Welt. Dieser gegenüber, der Unend-
lichkeit gegenüber, fühlte er sich hilflos. Es ist dasselbe wie im Skeptizismus, so erlebte
er es jetzt, es ist derselbe unendliche Regressus hier in der übersinnlichen Welt, der frü-
her meine Gedanken vernichtete. In der Psychose gelang aber die Lösung durch den
Willen, die in der Wirklichkeit nicht gelang. Er beschränkte sich willkürlich, Gott der
irdischen Welt zu sein, und setzte zum Gott der außerirdischen Unendlichkeit den
alten Herrgott ein. So fühlte er sich glücklich und heimatlich.
Mit diesem Zusammenhang gingen nun dauernd Zweifel einher. Er litt darunter,
hatte eine »gepreßte Stimmung«, daß die Zweifel ihn auch hier nicht verlassen. Er
konnte sich gar nicht genug tun, in lauter Wiederholung energischer Behauptungen: »Und
es gibt doch Gedankenzeugung,« »ich bin doch der Sohn des Königs Otto« usw. Die Ein-
heitsbildung gelingt auch in der | Psychose tatsächlich nie. Er gerät in Raserei, daß es
nicht gelingt. »Und die Zweiheit ist doch die Einheit,« behauptet er energisch. »Nein
es geht nicht,« folgt sofort. Es ist unmöglich, die Widersprüche aufzulösen, Gott und
Teufel können nicht identisch sein. Hieraus entwickelt sich dann eine neue Stellung
gegen Schluß der Psychose: Erhaltes nicht mehr aus und will zur Scheinwelt, wenn sie auch
nur Schein ist, zurück.
Das dritte durchgehende Motiv in der Psychose ist die Beziehung zur Dame Mona Lisa.
Diese Dame hatte zwei Tage vor der Psychose, nachdem er sie lange nicht gesehen und
endgültig nach ferner Gegend übergesiedelt geglaubt hatte, auf der Straße einen außer-
ordentlichen Eindruck auf ihn gemacht. Sie begleitete ihn in wechselnder Gestalt fast
durch die ganze Psychose. Er glaubte bei jeder Gelegenheit, etwas habe auf diese Dame
Bezug: Die zwei Billetts, der Zwang der Fußstapfen, andere ihr körperlich ganz unähn-
liche Persönlichkeiten. Er sah sie überall in anderen (Seelenwechsel), er fühlte sie, ohne
sie zu sehen, gegenwärtig. Er sah sie in der Krankenschwester, nannte sie Mona Lisa.
Unter diesem Namen trat sie als Göttin in seinen Erlebnissen auf, als einziges Wesen,
dem er völlig vertrauen konnte, bei dem er wirklich geborgen war. Es kam ihm der
Gedanke, sie sei seine Beatrice. Er sah sie am Wege bei der Überführung nach Heidel-
berg usw. Im Anfang der Psychose erlebte er sie als seine eigene Verdoppelung, mit der
er geschlechtlich verkehrte. Sie war verführerisch, aber er durfte nicht mit ihr Kinder
zeugen, weil er dann dieselbe Sünde begehen würde, wie der alte Gott, der das Elend
in die Welt brachte.
Von anderen verständlichen Beziehungen spielt ohne Zweifel die Symbolik in der
Psychose eine Rolle. Der Kranke selbst deutet symbolisch die Einwicklung des Kindes,
die ihm zeigen sollte, daß er sich passiv und hingebend verhalten soll, ferner das Öff-
nen der Tasche von seifen der Frau in der Bahn mit den Worten: »ist das nicht eine

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