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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Editor]; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0535
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492

Stellenkommentar

klipp und klar zu begründen. Die Frage, wo in solchen Faellen die Zurechnungsfaehigkeit
sicher, wo nur als hoechst wahrscheinlich ausgeschloßen werden soll, ist doch nur eine
Convention eile oder besser gesagt, eine rein practische Frage. Die Bedeutung und der wis-
senschaftliche Werth der Arbeit des Verfaßers besteht [sic!] in dem Nachweis, daß Verbre-
chen bei vollsinnigen weiblichen Kindern unter dem Einfluss des Heimwehs wirklich vor-
kommen. Der Verfasser haette diese wissenschaftliche Thatsache und zweitens die rein
practische Verwerthung derselben in forensischer Hinsicht scharf auseinanderhalten müßen.
Trotzdem ich mich in manchen Punkten dem Verfaßer nicht anzuschliessen vermag,
bezeichne ich die vorliegende Arbeit als eine werthvolle Bereicherung der psychiatrischen
Literatur.« (Vgl. F. Nissl: Gutachten vom 30. November 1908 [Kopie], DLA, A: Jaspers). Nissls
Bemerkungen klingen noch an folgender Stelle der Allgemeinen Psychopathologie nach: »Wis-
senschaft kann über die Freiheit keine Aussagen auf Grund eines fachlichen Wissens machen,
sondern nur über empirische Tatbestände - etwa ob ein Kranker weiß, was er tat, und ein Wis-
sen davon hat, da es verboten ist, also ob in ihm eine Willkür des Tuns und ein Bewußtsein
von der Strafbarkeit ist. Über die freie Willensbestimmung kann sie nur nach gegebenen kon-
ventionellen Regeln urteilen, welche gewissen empirisch feststellbaren Zuständen der Seele
die Freiheit abspricht oder zuerkennt« (Allgemeine Psychopathologie [1946], 664-665).
3 Dieser Beitrag erschien unter dem Titel »Über leibhaftige Bewußtheiten (Bewußtheitstäu-
schungen), ein psychopathologisches Elementarsymptom« zuerst in: Zeitschrift für Patho-
psychologie 2 (1913) 149-161. Zur Gründung und zum Programm der Zeitschrift sowie zu
Jaspers’ Beteiligung siehe die Einleitung zu diesem Band, S. XIII-XIV.
4 Zur Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie und zu Jaspers’ langjähriger Mitarbeit
vgl. ebd., S. XI-XII.
5 Zu den verschiedenen Auflagen der Allgemeinen Psychopathologie vgl. ebd., S. IX.
Heimweh und Verbrechen
6 Der >Schwachsinn< und die »moralische Idiotie< bezeichneten verschiedene Stufen der geis-
tigen Entwicklungshemmungen, wobei erstere Diagnose allgemein für geistige Behinderung
stand. Die Diagnose »moralische Idiotie< (auch moralischer Schwachsinn) wurde in Anleh-
nung an die »moral insanity< geprägt, die im englischen Sprachraum entstanden war (siehe
hierzu auch Stellenkommentar, Nr. 182). Beide Begriffe waren besonders in der forensischen
Psychiatrie von Bedeutung, da sie die Zurechnungsfähigkeit bestimmten. Jaspers geht im
Aufsatz über die Intelligenzprüfungen auf diese Diagnosen ausführlich ein (siehe oben,
S. 210-227). Zu deren Begriffsgeschichte und juristischer Relevanz siehe B. Müller: Rechtliche
und gesellschaftliche Stellung von Menschen mit einer geistigen Behinderung*. Eine rechtshistori-
sche Studie der Schweizer Verhältnisse im 19. und20. Jahrhundert, Zürich 2001.
7 Karl Wilmanns (1873-1945) kam nach psychiatrischen Assistenzen in Bremen und Bonn
1902 zur Heidelberger Klinik. Hier habilitierte er sich 1906 mit einer Arbeit zur Untersuchung
geisteskranker Landstreicher. Bevor er im Jahre 1918 die Führung der Klinik antrat, leitete er
für kurze Zeit die Heil- und Pflegeanstalt Reichenau. 1933 wurde er aus politischen Gründen
entlassen. Wilmanns hatte Jaspers das Dissertationsthema vorgeschlagen und betreute die
Doktorarbeit (siehe dazu die Einleitung zu diesem Band, S. X-XI).
8 Vgl. K. Wilmanns: »Heimweh oder impulsives Irresein?«, in: Monatsschrift für Kriminalpsycho-
logie und Strafrechtsreform 3 (1906/07) 136-155. Die Zeitschrift wurde vom Heidelberger Verlag
 
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