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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0038
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Überblickskommentar, Kapitel III.3: Selbstaussagen Nietzsches 11

In Ecce homo erklärt N. retrospektiv, er gebe in UB III SE eine „unschätzba-
re Belehrung" (KSA 6, 320, 28) über den Philosophen, den er in entschiedener
Abgrenzung „von den akademischen ,Wiederkäuern' und andren Professoren
der Philosophie" als „einen furchtbaren Explosionsstoff" versteht, „vor dem
Alles in Gefahr ist" (KSA 6, 320, 23-27). Schon in UB III SE geht N. in Anleh-
nung an Emerson von einer produktiven Gefährlichkeit der Philosophie aus
(426-427). Scheint hier noch Schopenhauer selbst diese Vorstellung des Philo-
sophen auf geradezu idealtypische Weise zu repräsentieren, so verändert sich
N.s Perspektive auf seinen einstigen „Erzieher" (350, 15) in Ecce homo funda-
mental, und zwar durch die spätere Abgrenzung von ihm und durch die Über-
windung seines eigenen Schüler-Status. Daher behauptet N. im Rückblick, in
UB III SE komme „im Grunde nicht ,Schopenhauer als Erzieher', sondern sein
Gegensatz, ,Nietzsche als Erzieher', zu Worte" (KSA 6, 320, 29-31).
In einem Nachlass-Notat von 1885 präsentiert N. aufschlussreiche Ein-
schätzungen, die einen Authentizitätsanspruch des Erziehers, wie er ihn in
UB III SE im Hinblick auf die Vorbildfunktion Schopenhauers nachdrücklich
postuliert, grundsätzlich in Frage stellen. Denn nun empfiehlt N. einem Erzie-
her sogar kalkulierte Strategien, mit deren Hilfe dieser sich besondere pädago-
gische Wirksamkeit sichern und zu diesem Zweck bedenkenlos auch Intrans-
parenz und Unaufrichtigkeit einsetzen soll: „Gesetzt, man denkt sich einen
Philosophen als großen Erzieher, mächtig genug, um von einsamer Höhe herab
lange Ketten von Geschlechtern zu sich hinaufzuziehen: so muß man ihm auch
die unheimlichen Vorrechte des großen Erziehers zugestehen. Ein Erzieher sagt
nie was er selber denkt sondern immer nur, was er im Verhältniß zum Nutzen
Dessen, den er erzieht, über eine Sache denkt. In dieser Verstellung darf er
nicht errathen werden; es gehört zu seiner Meisterschaft, daß man an seine
Ehrlichkeit glaubt. Er muß aller Mittel der Zucht und Züchtigung fähig sein:
manche Naturen bringt er nur durch Peitschenschläge des Hohns vorwärts;
Andere, Träge, Unschlüssige, Feige, Eitle, vielleicht mit übertreibendem Lobe.
Ein solcher Erzieher ist jenseits von Gut und Böse; aber Niemand darf es wis-
sen" (NL 1885, 37 [7], KSA 11, 580).
Dass N. aus diesen programmatischen Aussagen auch Konsequenzen für
seine eigenen Vermittlungsstrategien ableitet, erscheint naheliegend, zumal er
später in Ecce homo nachdrücklich behauptet, UB III SE sei in Wirklichkeit auf
„Nietzsche als Erzieher" fokussiert (KSA 6, 320, 30). - Im näheren Kontext des
zitierten Notats bringt N. 1885 rückblickend die Unzeitgemässen Betrachtungen
ins Spiel, indem er seine einstige Intention folgendermaßen erläutert: „Meine
,unzeitgemäßen Betrachtungen' richtete ich als junger Mensch an junge Men-
schen, welchen ich von meinen Erlebnissen und Gelöbnissen sprach, um sie
in meine Labyrinthe zu locken, - an deutsche Jünglinge: aber man überredet
 
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