Stellenkommentar UB III SE 1, KSA 1, S. 338-339 59
allein ist: wer also nicht die Einsamkeit liebt, der liebt auch nicht die Freiheit:
denn nur wann man allein ist, ist man frei" (PP I, Hü 447). Vgl. dazu auch
NK 362, 11-18.
338, 27-29 Periode, welche ihr Heil auf die öffentlichen Meinungen, das heisst
auf die privaten Faulheiten setzt] Hier paraphrasiert N. den Untertitel der Bie-
nenfabel, eines Werkes, das der englische Arzt und Philosoph Bernard de Man-
deville (1670-1733) veröffentlichte. Vgl. Bernard de Mandevilles The Fable of
the Bees: or, Private Vices Public Benefits von 1714 (Die Bienenfabel oder private
Laster, öffentliche Vorteile). - Später nimmt N. in Menschliches, Allzumenschli-
ches erneut auf dieses Werk Bezug: „Oeffentliche Meinungen - private Faulhei-
ten" (KSA 2, 316, 8-9). Zur Thematik der „öffentlichen Meinung", die in N.s
Frühwerk von Bedeutung ist und von ihm in UB I DS sogar bereits in der An-
fangspassage reflektiert wird, vgl. ausführlich NK 159, 2, außerdem NK 425, 27.
Georg Brandes äußert sich kritisch zu N.s These, indem er in seinem Buch
Friedrich Nietzsche. Eine Abhandlung über aristokratischen Radikalismus (1889,
zunächst auf Dänisch) zu bedenken gibt: „Ein Aphorismus von Nietzsche lau-
tet: ,Was sind öffentliche Meinungen? Es sind private Faulheiten.' Der Satz ist
nicht unbedingt wahr. Es gibt einzelne Fälle, wo die öffentliche Meinung etwas
wert sein kann. John Morley hat ein gutes Buch darüber geschrieben. In gewis-
sen sehr unzweifelhaften Fällen, wo Treu und Glauben gebrochen werden, und
bei gewissen grob-niederträchtigen Kränkungen des Menschenrechts kann die
öffentliche Meinung ein seltenes Mal sich wie eine Macht erheben, die es ver-
dient, daß man ihr folgt. Sonst ist sie in der Regel ein Fabrikat, das im Dienst
des Bildungsphilistertums hergestellt wird" (Brandes, 2004, 36).
338, 29-30 dass eine solche Zeit wirklich einmal getödtet wird] N. nimmt hier
den Ausdruck ,die Zeit totschlagen' wörtlich und kodiert ihn kulturkritisch im
Sinne der Epigonenproblematik um: Aus der von ihm imaginierten Perspektive
der Nachwelt sieht er seine eigene Gegenwart als eine Periode unauthentisch
lebender „Scheinmenschen". Seiner Ansicht nach wird sie aufgrund ihrer Be-
deutungslosigkeit von späteren Epochen aus der Kulturgeschichte eliminiert
(vgl. 338, 26 - 339, 3). Zugleich orientiert sich N. an den Darlegungen zur Lan-
geweile in der Welt als Wille und Vorstellung I: Hier konstatiert Schopenhauer,
„daß sobald Noth und Leiden dem Menschen eine Rast vergönnen, die Lange-
weile gleich so nahe ist, daß er des Zeitvertreibes nothwendig bedarf"; daher
versuche er „die Last des Daseyns los zu werden, es unfühlbar zu machen, ,die
Zeit zu tödten', d.h. der Langenweile zu entgehn" (WWV I, § 57, Hü 369). Zur
Thematik der Langeweile bei Schopenhauer vgl. ausführlicher NK 379, 32-34
und vor allem NK 397, 24.
339, 7-12 Wie hoffnungsvoll dürfen dagegen alle die sein, welche sich nicht als
Bürger dieser Zeit fühlen; denn wären sie dies, so würden sie mit dazu dienen,
allein ist: wer also nicht die Einsamkeit liebt, der liebt auch nicht die Freiheit:
denn nur wann man allein ist, ist man frei" (PP I, Hü 447). Vgl. dazu auch
NK 362, 11-18.
338, 27-29 Periode, welche ihr Heil auf die öffentlichen Meinungen, das heisst
auf die privaten Faulheiten setzt] Hier paraphrasiert N. den Untertitel der Bie-
nenfabel, eines Werkes, das der englische Arzt und Philosoph Bernard de Man-
deville (1670-1733) veröffentlichte. Vgl. Bernard de Mandevilles The Fable of
the Bees: or, Private Vices Public Benefits von 1714 (Die Bienenfabel oder private
Laster, öffentliche Vorteile). - Später nimmt N. in Menschliches, Allzumenschli-
ches erneut auf dieses Werk Bezug: „Oeffentliche Meinungen - private Faulhei-
ten" (KSA 2, 316, 8-9). Zur Thematik der „öffentlichen Meinung", die in N.s
Frühwerk von Bedeutung ist und von ihm in UB I DS sogar bereits in der An-
fangspassage reflektiert wird, vgl. ausführlich NK 159, 2, außerdem NK 425, 27.
Georg Brandes äußert sich kritisch zu N.s These, indem er in seinem Buch
Friedrich Nietzsche. Eine Abhandlung über aristokratischen Radikalismus (1889,
zunächst auf Dänisch) zu bedenken gibt: „Ein Aphorismus von Nietzsche lau-
tet: ,Was sind öffentliche Meinungen? Es sind private Faulheiten.' Der Satz ist
nicht unbedingt wahr. Es gibt einzelne Fälle, wo die öffentliche Meinung etwas
wert sein kann. John Morley hat ein gutes Buch darüber geschrieben. In gewis-
sen sehr unzweifelhaften Fällen, wo Treu und Glauben gebrochen werden, und
bei gewissen grob-niederträchtigen Kränkungen des Menschenrechts kann die
öffentliche Meinung ein seltenes Mal sich wie eine Macht erheben, die es ver-
dient, daß man ihr folgt. Sonst ist sie in der Regel ein Fabrikat, das im Dienst
des Bildungsphilistertums hergestellt wird" (Brandes, 2004, 36).
338, 29-30 dass eine solche Zeit wirklich einmal getödtet wird] N. nimmt hier
den Ausdruck ,die Zeit totschlagen' wörtlich und kodiert ihn kulturkritisch im
Sinne der Epigonenproblematik um: Aus der von ihm imaginierten Perspektive
der Nachwelt sieht er seine eigene Gegenwart als eine Periode unauthentisch
lebender „Scheinmenschen". Seiner Ansicht nach wird sie aufgrund ihrer Be-
deutungslosigkeit von späteren Epochen aus der Kulturgeschichte eliminiert
(vgl. 338, 26 - 339, 3). Zugleich orientiert sich N. an den Darlegungen zur Lan-
geweile in der Welt als Wille und Vorstellung I: Hier konstatiert Schopenhauer,
„daß sobald Noth und Leiden dem Menschen eine Rast vergönnen, die Lange-
weile gleich so nahe ist, daß er des Zeitvertreibes nothwendig bedarf"; daher
versuche er „die Last des Daseyns los zu werden, es unfühlbar zu machen, ,die
Zeit zu tödten', d.h. der Langenweile zu entgehn" (WWV I, § 57, Hü 369). Zur
Thematik der Langeweile bei Schopenhauer vgl. ausführlicher NK 379, 32-34
und vor allem NK 397, 24.
339, 7-12 Wie hoffnungsvoll dürfen dagegen alle die sein, welche sich nicht als
Bürger dieser Zeit fühlen; denn wären sie dies, so würden sie mit dazu dienen,