Stellenkommentar UB III SE 3, KSA 1, S. 356 111
mir" (AA 5, 61). Später finden sich auch in Also sprach Zarathustra Reminis-
zenzen an diese berühmte Formulierung Kants: In einer klaren und „hellge-
stirnt[en]" Nacht (KSA 4, 195, 5) richtet Zarathustra eine Adhortatio an sich
selbst: „Du aber, oh Zarathustra, wolltest aller Dinge Grund schaun und Hin-
tergrund: so musst du schon über dich selber steigen, - hinan, hinauf, bis du
auch deine Sterne noch unter dir hast! / Ja! Hinab auf mich selber sehn und
noch auf meine Sterne: das erst hiesse mir mein Gipfel" (KSA 4, 194, 27-31). -
Auf Platons ,Höhlengleichnis' als allegorisches Denkmodell nimmt N. später
implizit auch in der Fröhlichen Wissenschaft Bezug, indem er den erkenntnis-
theoretischen Gehalt religionskritisch funktionalisiert: „Gott ist todt: aber so
wie es die Art der Menschen ist, wird es vielleicht noch Jahrtausende lang Höh-
len geben, in denen man seinen Schatten zeigt. - Und wir - wir müssen auch
noch seinen Schatten besiegen!" (KSA 3, 467, 5-9).
Im vorliegenden Kontext von UB III SE vollzieht N. zugleich eine Umdeu-
tung der philosophischen Tradition: indem er Schopenhauer als den Führer
„aus der Höhle des skeptischen Unmuths oder der kritisirenden Entsagung"
beschreibt, der seine Leser hinauf „zur Höhe der tragischen Betrachtung" gelei-
tet habe. Den historischen Horizont der Antike und der Aufklärung überschrei-
tet N., wenn er philosophische Konzepte Platons und Kants in dieser Weise
durch Schopenhauers Werk überboten sieht. Schopenhauer selbst betrachtete
Platon und Kant als seine Lehrer. In der Vorrede zur ersten Auflage der Welt
als Wille und Vorstellung hebt er die „Schule des göttlichen Plato" hervor und
empfiehlt seinen Lesern „eine gründliche Bekanntschaft" mit „Kants Philoso-
phie" (WWV I, Hü XII) als der „wichtigsten Erscheinung, welche seit zwei Jahr-
tausenden in der Philosophie hervorgetreten ist" (WWV I, Hü XI). Zur span-
nungsreichen Relation zwischen Platon-Rezeption und Kant-Rezeption in
Schopenhauers Philosophie, die systematische Probleme zur Folge hat, vgl.
Neymeyr 1996a, 252-263.
Räumt N. im vorliegenden Kontext von UB III SE bezüglich „der tragischen
Betrachtung" noch Schopenhauer die Priorität ein, so reklamiert er diesen
avantgardistischen Status später (mit veränderten Implikationen) ausschließ-
lich für sich selbst: In Ecce homo spricht er sich „das Recht" zu, sich „selber
als den ersten tragischen Philosophen zu verstehn" (KSA 6, 312, 24-25).
N. definiert sich selbst als „den äussersten Gegensatz und Antipoden eines
pessimistischen Philosophen. Vor mir giebt es diese Umsetzung des Dionysi-
schen in ein philosophisches Pathos nicht: es fehlt die tragische Weis-
heit" (KSA 6, 312, 26-29). Dass sich N. durch die Abgrenzung vom „pessimisti-
schen Philosophen" nachdrücklich von Schopenhauer distanziert, zeigt seine
Behauptung, dass „Schopenhauer [...] nicht begreifen wollte", „daß die Tra-
gödie ein tonicum ist", „wenn er die Gesammt-Depression als tragischen
mir" (AA 5, 61). Später finden sich auch in Also sprach Zarathustra Reminis-
zenzen an diese berühmte Formulierung Kants: In einer klaren und „hellge-
stirnt[en]" Nacht (KSA 4, 195, 5) richtet Zarathustra eine Adhortatio an sich
selbst: „Du aber, oh Zarathustra, wolltest aller Dinge Grund schaun und Hin-
tergrund: so musst du schon über dich selber steigen, - hinan, hinauf, bis du
auch deine Sterne noch unter dir hast! / Ja! Hinab auf mich selber sehn und
noch auf meine Sterne: das erst hiesse mir mein Gipfel" (KSA 4, 194, 27-31). -
Auf Platons ,Höhlengleichnis' als allegorisches Denkmodell nimmt N. später
implizit auch in der Fröhlichen Wissenschaft Bezug, indem er den erkenntnis-
theoretischen Gehalt religionskritisch funktionalisiert: „Gott ist todt: aber so
wie es die Art der Menschen ist, wird es vielleicht noch Jahrtausende lang Höh-
len geben, in denen man seinen Schatten zeigt. - Und wir - wir müssen auch
noch seinen Schatten besiegen!" (KSA 3, 467, 5-9).
Im vorliegenden Kontext von UB III SE vollzieht N. zugleich eine Umdeu-
tung der philosophischen Tradition: indem er Schopenhauer als den Führer
„aus der Höhle des skeptischen Unmuths oder der kritisirenden Entsagung"
beschreibt, der seine Leser hinauf „zur Höhe der tragischen Betrachtung" gelei-
tet habe. Den historischen Horizont der Antike und der Aufklärung überschrei-
tet N., wenn er philosophische Konzepte Platons und Kants in dieser Weise
durch Schopenhauers Werk überboten sieht. Schopenhauer selbst betrachtete
Platon und Kant als seine Lehrer. In der Vorrede zur ersten Auflage der Welt
als Wille und Vorstellung hebt er die „Schule des göttlichen Plato" hervor und
empfiehlt seinen Lesern „eine gründliche Bekanntschaft" mit „Kants Philoso-
phie" (WWV I, Hü XII) als der „wichtigsten Erscheinung, welche seit zwei Jahr-
tausenden in der Philosophie hervorgetreten ist" (WWV I, Hü XI). Zur span-
nungsreichen Relation zwischen Platon-Rezeption und Kant-Rezeption in
Schopenhauers Philosophie, die systematische Probleme zur Folge hat, vgl.
Neymeyr 1996a, 252-263.
Räumt N. im vorliegenden Kontext von UB III SE bezüglich „der tragischen
Betrachtung" noch Schopenhauer die Priorität ein, so reklamiert er diesen
avantgardistischen Status später (mit veränderten Implikationen) ausschließ-
lich für sich selbst: In Ecce homo spricht er sich „das Recht" zu, sich „selber
als den ersten tragischen Philosophen zu verstehn" (KSA 6, 312, 24-25).
N. definiert sich selbst als „den äussersten Gegensatz und Antipoden eines
pessimistischen Philosophen. Vor mir giebt es diese Umsetzung des Dionysi-
schen in ein philosophisches Pathos nicht: es fehlt die tragische Weis-
heit" (KSA 6, 312, 26-29). Dass sich N. durch die Abgrenzung vom „pessimisti-
schen Philosophen" nachdrücklich von Schopenhauer distanziert, zeigt seine
Behauptung, dass „Schopenhauer [...] nicht begreifen wollte", „daß die Tra-
gödie ein tonicum ist", „wenn er die Gesammt-Depression als tragischen