196 Schopenhauer als Erzieher
weiteste ist, den die Natur, bei Hervorbringung ihrer Wesen, gethan hat"
(WWV II, Kap. 5, Hü 66). Anders differenziert Schopenhauer an späterer Stelle:
„In der That ist die Gränze zwischen dem Organischen und dem Unorgani-
schen die am schärfsten gezogene in der ganzen Natur und vielleicht die einzi-
ge, welche keine Uebergänge zuläßt; so daß das natura non facit saltus hier
eine Ausnahme zu erleiden scheint" (WWV II, Kap. 23, Hü 335).
381, 5-6 So hoch zu steigen, wie je ein Denker stieg, in die reine Alpen- und
Eisluft hinein] Diese anschauliche Vorstellung führt die Bergmotivik einer frü-
heren Textpassage weiter: „am hohen Gebirge wohnen wir, gefährlich und in
Dürftigkeit" (366, 30-31). Durch diesen bildhaften Assoziationsraum betont N.
das existentielle Ausgesetztsein des „Denker[s]", dem die „reine Alpen- und
Eisluft" des Hochgebirges besondere Erkenntnisbedingungen bietet, weil es
hier „kein Vernebeln und Verschleiern mehr giebt", so dass „die Grundbeschaf-
fenheit der Dinge" klar hervortreten kann (381, 5-8). - Die Gebirgsmetaphorik
N.s erscheint hier bereits als Signum eines geistesaristokratischen Sondersta-
tus des Denkenden in singulärer Höhe weit oberhalb der Majorität der Men-
schen. Zu diesem Vorstellungskomplex im Rahmen von N.s elitärem Individua-
lismus und zu seiner Rezeption durch Georg Brandes und Max Scheler sowie
durch Georg Simmel, der mehrfach auch an N.s Gebirgsmetaphorik anknüpft,
vgl. NK 383, 32 - 384, 2.
Später nutzt N. dieses expressive Metaphernfeld auch für Also sprach Zara-
thustra. Dort figuriert er das Motiv des einsamen Wanderers im Gebirge durch
den Protagonisten selbst: So setzt „Zarathustra's Vorrede" mit einer Retrospek-
tive ein, derzufolge er als Dreißigjähriger „in das Gebirge" ging und dort im
Selbstgenuss „seines Geistes und seiner Einsamkeit" sogar „zehn Jahre" ver-
brachte (KSA 4, 11, 3-6), bis er sich zum Abstieg entschloss (KSA 4, 12, 12), um
den Menschen fortan seine Lehren zu verkünden. Inwiefern sich Zarathustra
sogar existentiell mit der Berglandschaft identifiziert, zeigt die bildhafte Cha-
rakterisierung, seine „Seele" sei „hell wie das Gebirge am Vormittag" (KSA 4,
21, 1-2). Vgl. auch NK 366, 30-31. Symbolisch aufgeladene Vorstellungen von
einsamer Höhe bestimmen ebenfalls das Kapitel „Vom Wege des Schaffenden"
(KSA 4, 80-83). Im Schlusskapitel „Das Zeichen" verschiebt N. dann die Bildse-
mantik und inszeniert ringkompositorisch einen suggestiven Vergleich, indem
er Zarathustra aus seiner „Höhle" treten lässt, „glühend und stark, wie eine
Morgensonne, die aus dunklen Bergen kommt" (KSA 4, 405, 4-5; 408, 21-23).
Ähnlich evokative Bilder von Gebirgslandschaften und Bergwanderungen
inszeniert vor N. bereits Schopenhauer. In seinen Parerga und Paralipomena II
vergleicht er den Philosophen mit dem Wanderer, der, „vom hohen Berggipfel
aus, das Land überschaut" (PP II, Kap. 3, § 34, Hü 52). Die Weite dieses Hori-
zonts verengt Schopenhauer, wenn er anderenorts die Bildlichkeit in den Be-
weiteste ist, den die Natur, bei Hervorbringung ihrer Wesen, gethan hat"
(WWV II, Kap. 5, Hü 66). Anders differenziert Schopenhauer an späterer Stelle:
„In der That ist die Gränze zwischen dem Organischen und dem Unorgani-
schen die am schärfsten gezogene in der ganzen Natur und vielleicht die einzi-
ge, welche keine Uebergänge zuläßt; so daß das natura non facit saltus hier
eine Ausnahme zu erleiden scheint" (WWV II, Kap. 23, Hü 335).
381, 5-6 So hoch zu steigen, wie je ein Denker stieg, in die reine Alpen- und
Eisluft hinein] Diese anschauliche Vorstellung führt die Bergmotivik einer frü-
heren Textpassage weiter: „am hohen Gebirge wohnen wir, gefährlich und in
Dürftigkeit" (366, 30-31). Durch diesen bildhaften Assoziationsraum betont N.
das existentielle Ausgesetztsein des „Denker[s]", dem die „reine Alpen- und
Eisluft" des Hochgebirges besondere Erkenntnisbedingungen bietet, weil es
hier „kein Vernebeln und Verschleiern mehr giebt", so dass „die Grundbeschaf-
fenheit der Dinge" klar hervortreten kann (381, 5-8). - Die Gebirgsmetaphorik
N.s erscheint hier bereits als Signum eines geistesaristokratischen Sondersta-
tus des Denkenden in singulärer Höhe weit oberhalb der Majorität der Men-
schen. Zu diesem Vorstellungskomplex im Rahmen von N.s elitärem Individua-
lismus und zu seiner Rezeption durch Georg Brandes und Max Scheler sowie
durch Georg Simmel, der mehrfach auch an N.s Gebirgsmetaphorik anknüpft,
vgl. NK 383, 32 - 384, 2.
Später nutzt N. dieses expressive Metaphernfeld auch für Also sprach Zara-
thustra. Dort figuriert er das Motiv des einsamen Wanderers im Gebirge durch
den Protagonisten selbst: So setzt „Zarathustra's Vorrede" mit einer Retrospek-
tive ein, derzufolge er als Dreißigjähriger „in das Gebirge" ging und dort im
Selbstgenuss „seines Geistes und seiner Einsamkeit" sogar „zehn Jahre" ver-
brachte (KSA 4, 11, 3-6), bis er sich zum Abstieg entschloss (KSA 4, 12, 12), um
den Menschen fortan seine Lehren zu verkünden. Inwiefern sich Zarathustra
sogar existentiell mit der Berglandschaft identifiziert, zeigt die bildhafte Cha-
rakterisierung, seine „Seele" sei „hell wie das Gebirge am Vormittag" (KSA 4,
21, 1-2). Vgl. auch NK 366, 30-31. Symbolisch aufgeladene Vorstellungen von
einsamer Höhe bestimmen ebenfalls das Kapitel „Vom Wege des Schaffenden"
(KSA 4, 80-83). Im Schlusskapitel „Das Zeichen" verschiebt N. dann die Bildse-
mantik und inszeniert ringkompositorisch einen suggestiven Vergleich, indem
er Zarathustra aus seiner „Höhle" treten lässt, „glühend und stark, wie eine
Morgensonne, die aus dunklen Bergen kommt" (KSA 4, 405, 4-5; 408, 21-23).
Ähnlich evokative Bilder von Gebirgslandschaften und Bergwanderungen
inszeniert vor N. bereits Schopenhauer. In seinen Parerga und Paralipomena II
vergleicht er den Philosophen mit dem Wanderer, der, „vom hohen Berggipfel
aus, das Land überschaut" (PP II, Kap. 3, § 34, Hü 52). Die Weite dieses Hori-
zonts verengt Schopenhauer, wenn er anderenorts die Bildlichkeit in den Be-