208 Schopenhauer als Erzieher
durch, in der von der „Geburt des Genius" die Rede ist (403, 4). Hier fasst er
nochmals prägnant die Hindernisse für die „Geburt" des Genius zusammen,
die er im Verlauf dieses Kapitels zuvor ausführlich zum Thema gemacht hat:
„von der kurzsichtigen Selbstsucht des Staates, dem Flachsinne der Erwerben-
den" bis zu der „trocknen Genügsamkeit der Gelehrten" (403, 31-33). Aller-
dings beschränkt sich N. auf eine bloße Aufzählung äußerer Hindernisse, ohne
dadurch auch schon plausibel zu machen, auf welche Weise allein deren Über-
windung bereits die „Erzeugung" und „Geburt" des Genius ermöglichen könn-
te. Vor der ausführlichen Darstellung der äußeren Hindernisse erwähnt N. zwar
auch eine „Summe von inneren Zuständen", welche seines Erachtens „die erste
Weihe der Kultur" ergeben (386, 5-6), aber diese erblickt er lediglich darin,
„nach einem irgendwo noch verborgnen höheren Selbst mit allen Kräften zu
suchen" (385, 23-24). Die „erste Weihe der Kultur" empfängt laut N. „nur
der, welcher sein Herz an irgend einen grossen Menschen gehängt hat" (385,
24-26). Damit spielt N. auch auf das Verhältnis zu seinen eigenen Vorbildfigu-
ren an: auf seine Schopenhauer-Verehrung ebenso wie auf seinen Wagner-Kult.
Eine „Erzeugung" oder „Geburt" des Genius lässt sich allerdings aus Konstella-
tionen dieser Art allein schwerlich ableiten.
Der ganze Diskurs der Genie-Ästhetik, der auch N. maßgeblich beeinfluss-
te, ist vor dem ideengeschichtlichen Horizont der Sturm-und-Drang-Epoche zu
betrachten, in der von Philosophen und Schriftstellern immer wieder die natur-
hafte Veranlagung des Genies hervorgehoben wurde. Diese Auffassung be-
stimmt auch die Genie-Definition in Kants Kritik der Urtheilskraft (§ 46): „Genie
ist die angeborne Gemüthsanlage (ingenium), durch welche die Natur der
Kunst die Regel giebt" (AA 5, 307). Schopenhauer stellt sich ebenfalls in diese
Tradition, indem er auf dem Primat der „angeborenen Talente" insistiert (PP I,
Hü 209) und erklärt, die Natur, nicht das Ministerium berufe zur Philosophie
(vgl. PP I, Hü 193).
386, 31-32 unbewussten Zweckmässigkeit der Natur] Das Theorem von der
Zweckmäßigkeit und vom (letzten) „Zweck" der Natur benutzt N. schon auf
den vorangehenden Seiten dieses 6. Kapitels (leitmotivisch: 384, 2-23), um da-
raus per analogiam einen „Zweck der Gesellschaft" (384, 8) abzuleiten und
schließlich sogar einen Zweck und ein „Ziel" der „Kultur" in seinem Sinne zu
behaupten (385, 9 - 387, 19). In der philosophiegeschichtlichen Tradition wer-
den Vorstellungen von Zweck oder Zweckmäßigkeit von mehreren kanoni-
schen Philosophen reflektiert, etwa von Aristoteles, Spinoza und Kant. Die Idee
der Zweckmäßigkeit setzt Einheit, Regelmäßigkeit und Ordnung in den Wech-
selbeziehungen der Dinge voraus, impliziert Nutzbarkeit und kann auch auf
einen einheitlichen metaphysischen Grund zielen, der sich mit teleologischen
durch, in der von der „Geburt des Genius" die Rede ist (403, 4). Hier fasst er
nochmals prägnant die Hindernisse für die „Geburt" des Genius zusammen,
die er im Verlauf dieses Kapitels zuvor ausführlich zum Thema gemacht hat:
„von der kurzsichtigen Selbstsucht des Staates, dem Flachsinne der Erwerben-
den" bis zu der „trocknen Genügsamkeit der Gelehrten" (403, 31-33). Aller-
dings beschränkt sich N. auf eine bloße Aufzählung äußerer Hindernisse, ohne
dadurch auch schon plausibel zu machen, auf welche Weise allein deren Über-
windung bereits die „Erzeugung" und „Geburt" des Genius ermöglichen könn-
te. Vor der ausführlichen Darstellung der äußeren Hindernisse erwähnt N. zwar
auch eine „Summe von inneren Zuständen", welche seines Erachtens „die erste
Weihe der Kultur" ergeben (386, 5-6), aber diese erblickt er lediglich darin,
„nach einem irgendwo noch verborgnen höheren Selbst mit allen Kräften zu
suchen" (385, 23-24). Die „erste Weihe der Kultur" empfängt laut N. „nur
der, welcher sein Herz an irgend einen grossen Menschen gehängt hat" (385,
24-26). Damit spielt N. auch auf das Verhältnis zu seinen eigenen Vorbildfigu-
ren an: auf seine Schopenhauer-Verehrung ebenso wie auf seinen Wagner-Kult.
Eine „Erzeugung" oder „Geburt" des Genius lässt sich allerdings aus Konstella-
tionen dieser Art allein schwerlich ableiten.
Der ganze Diskurs der Genie-Ästhetik, der auch N. maßgeblich beeinfluss-
te, ist vor dem ideengeschichtlichen Horizont der Sturm-und-Drang-Epoche zu
betrachten, in der von Philosophen und Schriftstellern immer wieder die natur-
hafte Veranlagung des Genies hervorgehoben wurde. Diese Auffassung be-
stimmt auch die Genie-Definition in Kants Kritik der Urtheilskraft (§ 46): „Genie
ist die angeborne Gemüthsanlage (ingenium), durch welche die Natur der
Kunst die Regel giebt" (AA 5, 307). Schopenhauer stellt sich ebenfalls in diese
Tradition, indem er auf dem Primat der „angeborenen Talente" insistiert (PP I,
Hü 209) und erklärt, die Natur, nicht das Ministerium berufe zur Philosophie
(vgl. PP I, Hü 193).
386, 31-32 unbewussten Zweckmässigkeit der Natur] Das Theorem von der
Zweckmäßigkeit und vom (letzten) „Zweck" der Natur benutzt N. schon auf
den vorangehenden Seiten dieses 6. Kapitels (leitmotivisch: 384, 2-23), um da-
raus per analogiam einen „Zweck der Gesellschaft" (384, 8) abzuleiten und
schließlich sogar einen Zweck und ein „Ziel" der „Kultur" in seinem Sinne zu
behaupten (385, 9 - 387, 19). In der philosophiegeschichtlichen Tradition wer-
den Vorstellungen von Zweck oder Zweckmäßigkeit von mehreren kanoni-
schen Philosophen reflektiert, etwa von Aristoteles, Spinoza und Kant. Die Idee
der Zweckmäßigkeit setzt Einheit, Regelmäßigkeit und Ordnung in den Wech-
selbeziehungen der Dinge voraus, impliziert Nutzbarkeit und kann auch auf
einen einheitlichen metaphysischen Grund zielen, der sich mit teleologischen