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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0271
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244 Schopenhauer als Erzieher

phie formuliert. Dort betont er, die Lektüre philosophischer Werke lasse sich
keineswegs durch philosophiehistorische Kompendien ersetzen, da allein „das
Lesen der selbsteigenen Werke wirklicher Philosophen" einen „fördernden Ein-
fluß auf den Geist" habe (PP I, Hü 208). Vgl. dazu auch NK 350, 14-16.
406, 28-30 ich glaube dass jetzt bereits mehr Menschen seinen Namen als den
Hegels kennen] Hier spielt N. auf traumatische Erfahrungen in Schopenhauers
Biographie an: Dass der junge, ambitionierte Dozent Schopenhauer seine Lehr-
veranstaltungen an der Berliner Universität mit demonstrativem Selbstbe-
wusstsein für die gleiche Zeit ankündigte wie der damals bereits berühmte Phi-
losoph Hegel, trug zu seinem Scheitern maßgeblich bei und verhinderte
dauerhaft die geplante Universitätskarriere. Nachdem Schopenhauer am
23. März 1820 vor einem Habilitationsausschuss unter Beteiligung Hegels seine
Probevorlesung „Über die vier verschiedenen Arten der Ursachen" gehalten
hatte, las er im Sommersemester 1820 vor nur wenigen Hörern, und zwar syn-
chron zu Hegels Hauptkolleg über „Logik und Metaphysik". Auf diese Weise
führte er seinen eigenen katastrophalen Misserfolg selbst herbei. Schopenhau-
ers Vorlesungen fanden so geringe Resonanz, dass er sie für die folgenden vier
Semester nur noch ankündigte, aber nicht mehr abhielt. Im April 1825 unter-
nahm er in Berlin einen Versuch, an die abgebrochene Universitätskarriere an-
zuknüpfen, scheiterte dabei allerdings erneut am Mangel an studentischem In-
teresse: Vom Wintersemester 1826/27 bis zum Wintersemester 1831/32 fand
keine der Vorlesungen statt, die Schopenhauer wiederum zur gleichen Zeit an-
kündigte, zu der auch Hegels Hauptkolleg angesetzt war (vgl. dazu Abendroth
1967, 66; Zimmer 2014c, 15-16). Zu den biographischen Hintergründen von
Schopenhauers Ressentiments gegen die akademischen „Professionsphiloso-
phen" generell (PP I, Hü 182) und gegen Hegel speziell vgl. auch NK 351, 10-
13. - Aufschlussreich erscheint eine biographische Parallele, die N. mit Scho-
penhauer verbindet: Während dieser an der Universität Berlin vergeblich als
Philosoph zu reüssieren versuchte, bemühte sich der 26-jährige N. erfolglos um
eine Philosophie-Professur in Basel: Denn im Berufungsverfahren zur Teich-
müller-Nachfolge wurde dort ein anderer Kandidat von der Kommission ausge-
wählt: Rudolf Eucken (vgl. Niemeyer, NH 2000, 19). Im Unterschied zu Scho-
penhauer verfügte N. als Professor für Klassische Philologie damals allerdings
bereits über eine universitäre Dauerstelle. Zu biographischen Fakten und Zu-
sammenhängen in Schopenhauers Leben vgl. insbesondere die erste Biogra-
phie, die sein Vertrauter und Testamentsvollstrecker Wilhelm Gwinner bereits
zwei Jahre nach Schopenhauers Tod veröffentlichte, und zwar unter dem Titel
Arthur Schopenhauer aus persönlichem Umgange dargestellt. Ein Blick auf sein
Leben, seinen Charakter und seine Lehre (1862). Sechzehn Jahre später publi-
 
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