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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0281
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254 Schopenhauer als Erzieher

Seines Erachtens nimmt „das viele Lesen dem Geiste alle Elasticität", so dass
„die Gelehrsamkeit die meisten Menschen noch geistloser und einfältiger
macht, als sie schon von Natur sind" (PP II, Kap. 22, § 258, Hü 522). Ähnliche
Ansichten vertritt er in den Parerga und Paralipomena II auch im Kapitel 23
„Über Schriftstellerei und Stil", wo er zwischen verschiedenen Typen von Auto-
ren differenziert: Laut Schopenhauer gibt es „nur äußerst wenige, welche über
die Dinge selbst denken: die übrigen denken bloß über Bücher, über das
von Andern Gesagte. Sie bedürfen nämlich, um zu denken, der nähern und
stärkern Anregung durch fremde, gegebene Gedanken", so dass sie „nie eigent-
liche Originalität erlangen. Jene ersteren hingegen werden durch die Dinge
selbst zum Denken angeregt [...]. Unter ihnen allein sind Die zu finden, wel-
che bleiben und unsterblich werden" (PP II, Kap. 23, § 273, Hü 534).
409, 5-8 Vom Staate hielt er bekanntlich, dass seine einzigen Zwecke seien,
Schutz [...] zu geben] Vgl. auch 353, 20-23. In seiner Schrift Ueber die Universi-
täts-Philosophie äußert sich Schopenhauer folgendermaßen über „die schwere
Aufgabe" des „Staat[es] und seine[r] Regierung": Sie haben „unter vielen Mil-
lionen eines, der großen Mehrzahl nach, gränzenlos egoistischen, [...] boshaf-
ten und [...] queerköpfigen Geschlechtes, Gesetz, Ordnung, Ruhe und Friede
aufrecht zu erhalten und die Wenigen, denen irgend ein Besitz zu Theil gewor-
den, zu schützen gegen die Unzahl Derer, welche nichts, als ihre Körperkräfte
haben" (PP I, Hü 157). Kritisch dazu: Thomas Mann (Bd. IX, 563-567).
409, 10-13 deshalb vermachte er, zum Schrecken aller sogenannten Liberalen,
sein Vermögen den Hinterlassenen jener preussischen Soldaten, welche 1848 im
Kampf für die Ordnung gefallen waren] Die „Liberalen" attackiert N. schon in
der Geburt der Tragödie und später auch in anderen Werken. - Das Testament
Schopenhauers lautete so: „Zu meinem Universalerben setze ich ein den in Ber-
lin errichteten Fonds zur Unterstützung der in den Aufruhr- und Empörungs-
kämpfen der Jahre 1848 & 1849 für Aufrechterhaltung und Herstellung der ge-
setzlichen Ordnung in Deutschland invalide gewordenen preußischen Soldaten,
wie auch der Hinterbliebenen solcher, die in jenen Kämpfen gefallen sind"
(„Testamentum" „Num: 43 de 1860"), publiziert in: Schopenhauers Briefwechsel
und andere Dokumente (1911, 327). Vgl. auch Schopenhauers Brief an Frauen-
städt vom 2. März 1849 (in: Schopenhauers Gesammelte Briefe, 1978, 266). Die-
se testamentarische Verfügung verrät die konservative und anti-liberale Ein-
stellung Schopenhauers sowie seine Sympathie für die Restauration, ja sogar
für die blutige Niederschlagung des Aufstandes gegen die Unterdrückung be-
sonders in Süddeutschland durch preußische Truppen (badischer Aufstand).
In seinem Schopenhauer-Essay schildert Thomas Mann eine Szene, in der Scho-
penhauer einem Offizier sogar sein Opernglas lieh, damit dieser auf die Auf-
 
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