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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0283
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256 Schopenhauer als Erzieher

worden, entzog sich dieser vorgezeichneten Bahn dann allerdings nach dem
Tod seines Vaters. Vgl. detailliertere Angaben dazu in NK 408, 25-28.
409, 29-30 Ein Gelehrter kann nie ein Philosoph werden] Diese apodiktische
These greift auf die Konzeption des Philosophen zurück, die Schopenhauer
nicht nur in der Welt als Wille und Vorstellung I entfaltet, sondern auch in ande-
ren Schriften. In den Parerga und Paralipomena II stellt er die seiner Ansicht
nach fundamentale Differenz zwischen dem jeweils spezifischen Weltverhält-
nis des Philosophen und des gelehrten Wissenschaftlers folgendermaßen dar:
„mehr noch, als jeder Andere, soll der Philosoph aus jener Urquelle, der
anschauenden Erkenntniß, schöpfen und daher stets die Dinge selbst, die Na-
tur, die Welt, das Leben ins Auge fassen, sie, und nicht die Bücher, zum Texte
seiner Gedanken machen, auch stets an ihnen alle fertig überkommenen
Begriffe prüfen und kontroliren, die Bücher also nicht als Quellen der Erkennt-
niß, sondern nur als Beihülfe benutzen. Denn was sie geben empfängt er ja
nur aus zweiter Hand, auch meistens schon etwas verfälscht: es ist ja nur ein
Wiederschein, ein Konterfei des Originals, nämlich der Welt, und selten war
der Spiegel vollkommen rein. Hingegen die Natur, die Wirklichkeit, lügt nie:
sie macht ja alle Wahrheit erst zur Wahrheit. Daher hat der Philosoph an ihr
sein Studium zu machen, und zwar sind es ihre großen, deutlichen Züge, ihr
Haupt- und Grundcharakter, woraus sein Problem erwächst. Demnach wird er
die wesentlichen und allgemeinen Erscheinungen, Das, was allezeit und über-
all ist, zum Gegenstände seiner Betrachtung machen, hingegen die speciellen,
besonderen, seltenen, mikroskopischen, oder vorüberfliegenden Erscheinun-
gen dem Physiker, dem Zoologen, dem Historiker u. s. w. überlassen. Ihn be-
schäftigen wichtigere Dinge: das Ganze und Große der Welt, das Wesentliche
derselben, die Grundwahrheiten, sind sein hohes Ziel. Daher kann er nicht zu-
gleich sich mit Einzelheiten und Mikrologien befassen; gleichwie Der, welcher,
vom hohen Berggipfel aus, das Land überschaut, nicht zugleich die da unten
im Thale wachsenden Pflanzen untersuchen und bestimmen kann, sondern
Dies dem dort Botanisirenden überläßt" (PP II, Kap. 3, § 34, Hü 52).
Schopenhauer hält die intuitive und originäre Erkenntnis der Welt für das
besondere Potential des „Genius": „er wird von den Vorgängern und ihren
Werken zwar erzogen und gebildet; aber befruchtet wird er nur vom Leben und
der Welt selbst unmittelbar, durch den Eindruck des Anschaulichen" (WWV I,
§ 49, Hü 278). - N. kontrastiert die spezifische Sicht des genialen Philosophen
wenig später mit der bloßen Bücher-Gelehrsamkeit des Historikers, der - an-
ders als jener - „die Dinge nie zum ersten Male sehen" kann (410, 5). Der
Opposition zwischen dem jeweils spezifischen Weltverhältnis von Genius und
Gelehrtem bei N. entspricht bei Schopenhauer tendenziell der Kontrast zwi-
schen der Philosophie und der Kunst als Konzentrat der Ideen-Erkenntnis
 
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