Stellenkommentar UB III SE 8, KSA 1, S. 414 267
geben, die, in Ansehung ihrer Lehren vom Befehle der Regierung unabhängig,
keine Befehle zu geben, aber doch alle zu beurtheilen die Freiheit habe, die
mit dem wissenschaftlichen Interesse, d. i. mit dem der Wahrheit, zu thun hat,
wo die Vernunft öffentlich zu sprechen berechtigt sein muß: weil ohne eine
solche die Wahrheit [...] nicht an den Tag kommen würde" (AA 7, 19-20). Mit
dieser Funktion der Philosophischen Fakultät begründet Kant ihren besonde-
ren Rang innerhalb der Fakultäten und zugleich den maßgeblichen Unter-
schied zu den „Geschäftsleuten jener oberen Facultäten" (AA 7, 28), also der
theologischen, der juristischen und der medizinischen Fakultät.
Die Vermittlung der Philosophie mit dem Autonomie-Postulat, das Kant
1786 in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten für die Ethik und 1790 in
der Kritik der Urteilskraft für die Ästhetik formuliert hatte, wurde auch für die
institutionelle und politische Sphäre relevant. Dafür gab es einen historischen
Grund: den Tod Friedrichs des Großen, der 1786 eine Zäsur markierte. Denn
sein Nachfolger Friedrich Wilhelm II., ein pietistischer und mystischer Schwär-
mer, war ein Antipode des aufgeklärten Philosophenkönigs. Bis Friedrich Wil-
helm II. im Jahr 1797 starb, wurde die Situation für die Aufklärer und damit
auch für Kant problematisch, und dies umso mehr, als man die große Aufklä-
rungsbewegung des 18. Jahrhunderts als Wegbereiter der Französischen Revo-
lution von 1789 ansah. Dass sie zugleich auch als Bedrohung für die preußi-
sche Monarchie erschien, begünstigte einen gegenaufklärerischen Kurs.
Schon ein Jahr vor dem Beginn der Französischen Revolution hatte die
religiöse Abwehrhaltung des neuen Königs Friedrich Wilhelm II. gegenüber der
Aufklärung, die gerade in Preußen (vor allem in den geistigen Zentren Königs-
berg und Berlin) florierte, zu einer einschneidenden Maßnahme geführt. Zu-
nächst entließ er Karl Abraham von Zedlitz, den freisinnigen Kultusminister
aus der Zeit Friedrichs des Großen, der ein Vertrauter Kants war. In das innen-
politische Schlüsselministerium, das sogenannte Justiz- und Geistliche Depar-
tement', rückte anschließend Johann Christoph Wöllner ein, der noch im Juli
1788 das ,Edict, die Religionsverfassung in den Preußischen Staaten betref-
fend', das sogenannte ,Wöllnersche Religionsedikt', erließ. Es brachte gravie-
rende Einschränkungen und hatte sogar Gesinnungsschnüffelei zur Folge. -
Bezeichnenderweise hatte Friedrich der Große zwanzig Jahre zuvor die Nobili-
tierung Wöllners 1768 in unmissverständlicher Klarheit mit dem Bescheid ab-
gelehnt: „Der Wöllner ist ein betriegerischer und Intriganter Pfafe, weiter
Nichts". In einem Aide memoire vom 30. März 1794 verlautbarte Wöllner: „mit
Kantens schädlichen Schriften mus es auch nicht lenger fort gehen". Die von
ihm eingerichtete zentrale Behörde in Berlin, die Jmmediat-Examinations-
Commission', praktizierte eine schikanöse Zensur und witterte überall „Chris-
tusleugner", „Jakobiner" und „Demokraten". Die Zensurstelle war durchweg
geben, die, in Ansehung ihrer Lehren vom Befehle der Regierung unabhängig,
keine Befehle zu geben, aber doch alle zu beurtheilen die Freiheit habe, die
mit dem wissenschaftlichen Interesse, d. i. mit dem der Wahrheit, zu thun hat,
wo die Vernunft öffentlich zu sprechen berechtigt sein muß: weil ohne eine
solche die Wahrheit [...] nicht an den Tag kommen würde" (AA 7, 19-20). Mit
dieser Funktion der Philosophischen Fakultät begründet Kant ihren besonde-
ren Rang innerhalb der Fakultäten und zugleich den maßgeblichen Unter-
schied zu den „Geschäftsleuten jener oberen Facultäten" (AA 7, 28), also der
theologischen, der juristischen und der medizinischen Fakultät.
Die Vermittlung der Philosophie mit dem Autonomie-Postulat, das Kant
1786 in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten für die Ethik und 1790 in
der Kritik der Urteilskraft für die Ästhetik formuliert hatte, wurde auch für die
institutionelle und politische Sphäre relevant. Dafür gab es einen historischen
Grund: den Tod Friedrichs des Großen, der 1786 eine Zäsur markierte. Denn
sein Nachfolger Friedrich Wilhelm II., ein pietistischer und mystischer Schwär-
mer, war ein Antipode des aufgeklärten Philosophenkönigs. Bis Friedrich Wil-
helm II. im Jahr 1797 starb, wurde die Situation für die Aufklärer und damit
auch für Kant problematisch, und dies umso mehr, als man die große Aufklä-
rungsbewegung des 18. Jahrhunderts als Wegbereiter der Französischen Revo-
lution von 1789 ansah. Dass sie zugleich auch als Bedrohung für die preußi-
sche Monarchie erschien, begünstigte einen gegenaufklärerischen Kurs.
Schon ein Jahr vor dem Beginn der Französischen Revolution hatte die
religiöse Abwehrhaltung des neuen Königs Friedrich Wilhelm II. gegenüber der
Aufklärung, die gerade in Preußen (vor allem in den geistigen Zentren Königs-
berg und Berlin) florierte, zu einer einschneidenden Maßnahme geführt. Zu-
nächst entließ er Karl Abraham von Zedlitz, den freisinnigen Kultusminister
aus der Zeit Friedrichs des Großen, der ein Vertrauter Kants war. In das innen-
politische Schlüsselministerium, das sogenannte Justiz- und Geistliche Depar-
tement', rückte anschließend Johann Christoph Wöllner ein, der noch im Juli
1788 das ,Edict, die Religionsverfassung in den Preußischen Staaten betref-
fend', das sogenannte ,Wöllnersche Religionsedikt', erließ. Es brachte gravie-
rende Einschränkungen und hatte sogar Gesinnungsschnüffelei zur Folge. -
Bezeichnenderweise hatte Friedrich der Große zwanzig Jahre zuvor die Nobili-
tierung Wöllners 1768 in unmissverständlicher Klarheit mit dem Bescheid ab-
gelehnt: „Der Wöllner ist ein betriegerischer und Intriganter Pfafe, weiter
Nichts". In einem Aide memoire vom 30. März 1794 verlautbarte Wöllner: „mit
Kantens schädlichen Schriften mus es auch nicht lenger fort gehen". Die von
ihm eingerichtete zentrale Behörde in Berlin, die Jmmediat-Examinations-
Commission', praktizierte eine schikanöse Zensur und witterte überall „Chris-
tusleugner", „Jakobiner" und „Demokraten". Die Zensurstelle war durchweg