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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0310
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Stellenkommentar UB III SE 8, KSA 1, S. 424-425 283

nicht zu sagen getraue, daß er ebensoviel zu bauen als zu zerstören vermag"
(vgl. den Quellennachweis von Antonio und Jordi Morillas-Esteban 2011b, 305).
425, 1 Nathan den Weisen] Nathan der Weise ist der souverän im Sinne aufklä-
rerischer Prinzipien agierende jüdische Protagonist in Lessings Drama Nathan
der Weise (1779), das den Anspruch auf interkulturelle Toleranz und Gleichwer-
tigkeit der Weltreligionen ins Zentrum stellt. In UB I DS spielt N. auf die religi-
onsphilosophische Debatte um die sogenannten ,Reimarus-Fragmente' an, in
der sich Lessing durch seine Schriften gegen den religiösen Dogmatismus or-
thodoxer Theologen sehr engagierte (vgl. KSA 1, 183, 14 - 184, 5). Zur Fortset-
zung der religionsphilosophischen Kontroverse, für die Lessing sein Drama
Nathan der Weise verfasste, vgl. in NK 1/2 die Hintergrundinformationen in
NK 183, 14 - 184, 5.
425, 3-4 Geschwätz über unsere heilige deutsche Musik] Vermutlich spielt N.
hier auf die Musik Richard Wagners an, den er in UB IV WB als unzeitgemäßen
Musiker würdigt.
425, 7-17 ausserhalb der Universitäten ein höheres Tribunal [...] so wie Scho-
penhauer lebte, als der Richter der ihn umgebenden sogenannten Kultur] Im anti-
ken Rom wurde mit ,Tribunal' der erhöhte Platz bezeichnet, auf dem der Prae-
tor als oberster Beamter der Justiz Recht sprach. N. verwendet den Begriff
,Tribunal' im Sinne von Gerichtshof und verbindet ihn implizit mit seinem Pos-
tulat der ,Unzeitgemäßheit'. Zu der für N.s Frühwerk generell charakteristi-
schen Vorstellung des Gerichts und des Richters vgl. NK 410, 22-25. N. sieht
einen philosophisch maskierten Journalismus (424, 33-34) in die akademi-
schen Institutionen einziehen und entdeckt Indizien dafür, dass „der Universi-
tätsgeist anfängt, sich mit dem Zeitgeiste zu verwechseln" (425, 6-7). Laut N.
soll die Philosophie nach ihrem Ausscheiden aus dem Universitätsbetrieb, von
allen Depravationen durch staatliche Indienstnahme befreit, nach Schopen-
hauerschem Vorbild die Aufgabe einer „vom Zeitgeiste" unabhängigen Kultur-
richterin übernehmen (425, 15-17).
Vor N. setzt bereits Schopenhauer die juristische Metapher „Tribunal" mit
zeitkritischen Implikationen ein. So entwirft er in seiner Schrift Ueber die Uni-
versitäts-Philosophie ein Zukunftsszenario: vor „jenem Richterstuhle, wo wir
uns wiedersehn, zum Tribunal der Nachwelt, welches [...] auch eine Schand-
glocke führt, die sogar über ganze Zeitalter geläutet werden kann" (PP I,
Hü 155). Auch in seinem Hauptwerk weist Schopenhauer auf den „Richter-
stuhl" der „Nachwelt" hin (WWV I, § 49, Hü 279). Derartige Vorstellungen von
einer richterlichen Instanz, die Rechtfertigung einfordern und Verdikte aus-
sprechen kann, übernimmt N. von Schopenhauer, um sie dann ebenfalls aus
dem Bereich der Jurisprudenz in den weiteren Horizont der Kulturgeschichte
 
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