372 Richard Wagner in Bayreuth
formulierte seine Verdikte mitunter sogar in polemischer Schärfe. Dass Richard
Wagner die Figur des Sixtus Beckmesser in seiner Oper Die Meistersinger von
Nürnberg als Hanslick-Parodie konzipiert hat, geht eindeutig daraus hervor,
dass er diese Figur 1862 im zweiten Prosaentwurf des Librettos zunächst sogar
als „Hans Lick" bezeichnet hatte. Zum Konflikt zwischen den diametral entge-
gengesetzten zeitgenössischen Positionen im Felde der Musikästhetik vgl.
NK 497, 8-12. Zu einer symptomatischen Episode, die Wagners Aversion gegen
Brahms offenbart, siehe oben S. 306.
Auch wenn N. den Kult der „schönen Form" kritisiert, wendet er sich gegen
Eduard Hanslick. In UB IV WB kontrastiert er den bloßen „gefälligen An-
schein" einer äußerlich bleibenden „Form" mit dem ,wahren' Begriff von
„Form" als einer „nothwendigen Gestaltung" (457, 15-21). In N.s persönlicher
Bibliothek (NPB 275) befand sich das Buch Vom Musikalisch-Schönen. Ein Bei-
trag zur Revision der Ästhetik der Tonkunst (Erstausgabe 1854, Neuausgabe
2010), in dem Eduard Hanslick zwischen Form und Inhalt der Musik differen-
ziert und das „ästhetische Aufnehmen der Musik gegenüber dem pathologi-
schen" abgrenzt. Laut Hanslick werden durch Melodie, Harmonie und Rhyth-
mus „Musikalische Ideen" zum Ausdruck gebracht (Hanslick 2010, 52). Während
N. in UB IV WB die „Leidenschaft" der Musik Wagners (488, 18) und die „Spra-
che des Pathos" (491, 12) betont, die auch „den Zuhörer zum leidenschaftlichen
Miterleben" motivieren soll (489, 27-28), propagiert Hanslick gegenläufige Prä-
missen: „Ein Erleiden unmotivirter ziel- und stoffloser Affecte durch eine Macht,
die in keinem Rapport zu unserm Wollen und Denken steht, ist des Menschen-
geistes unwürdig" (Hanslick 2010, 91). In diesem Sinne spricht er sich entschie-
den für eine genuin ästhetische Wirkung der Musik aus und signalisiert Distanz
gegenüber einem bloß pathologischen Effekt, den diejenigen unter den Hörern
erfahren, die lediglich „das Elementarische der Musik in passiver Empfänglich-
keit auf sich wirken lassen" (ebd., 88). Dieser Auffassung Hanslicks steht der
musikalische Wirkungsanspruch Wagners mithin diametral gegenüber, der auf
die Evokation größter emotionaler Intensität beim Publikum zielt. - Zur Chrono-
logie der Entwicklung von Hanslicks Aversion gegen Wagner und zu N.s Pole-
mik gegen Hanslick vgl. Christoph Länderer 2008, 373-385.
Trotz der entschiedenen Vorbehalte, die N. gegen Hanslick hegte, lässt ein
von ihm mehrere Jahre zuvor verfasstes, in musikästhetischer Hinsicht sehr
aufschlussreiches nachgelassenes Notat von 1871 (vgl. NL 1871, 12 [1], KSA 7,
359-369) Affinitäten zu Hanslicks Musiktheorie erkennen: Denn dort attestiert
N. denjenigen, „die der Musik nur mit ihren Affekten beizukommen vermögen
[...], daß sie immer in den Vorhallen bleiben und keinen Zutritt zu dem Heilig-
thum der Musik haben werden: als welches der Affekt [...] nicht zu zeigen,
sondern nur zu symbolisiren vermag" (NL 1871, 12 [1], KSA 7, 365). In diesem
formulierte seine Verdikte mitunter sogar in polemischer Schärfe. Dass Richard
Wagner die Figur des Sixtus Beckmesser in seiner Oper Die Meistersinger von
Nürnberg als Hanslick-Parodie konzipiert hat, geht eindeutig daraus hervor,
dass er diese Figur 1862 im zweiten Prosaentwurf des Librettos zunächst sogar
als „Hans Lick" bezeichnet hatte. Zum Konflikt zwischen den diametral entge-
gengesetzten zeitgenössischen Positionen im Felde der Musikästhetik vgl.
NK 497, 8-12. Zu einer symptomatischen Episode, die Wagners Aversion gegen
Brahms offenbart, siehe oben S. 306.
Auch wenn N. den Kult der „schönen Form" kritisiert, wendet er sich gegen
Eduard Hanslick. In UB IV WB kontrastiert er den bloßen „gefälligen An-
schein" einer äußerlich bleibenden „Form" mit dem ,wahren' Begriff von
„Form" als einer „nothwendigen Gestaltung" (457, 15-21). In N.s persönlicher
Bibliothek (NPB 275) befand sich das Buch Vom Musikalisch-Schönen. Ein Bei-
trag zur Revision der Ästhetik der Tonkunst (Erstausgabe 1854, Neuausgabe
2010), in dem Eduard Hanslick zwischen Form und Inhalt der Musik differen-
ziert und das „ästhetische Aufnehmen der Musik gegenüber dem pathologi-
schen" abgrenzt. Laut Hanslick werden durch Melodie, Harmonie und Rhyth-
mus „Musikalische Ideen" zum Ausdruck gebracht (Hanslick 2010, 52). Während
N. in UB IV WB die „Leidenschaft" der Musik Wagners (488, 18) und die „Spra-
che des Pathos" (491, 12) betont, die auch „den Zuhörer zum leidenschaftlichen
Miterleben" motivieren soll (489, 27-28), propagiert Hanslick gegenläufige Prä-
missen: „Ein Erleiden unmotivirter ziel- und stoffloser Affecte durch eine Macht,
die in keinem Rapport zu unserm Wollen und Denken steht, ist des Menschen-
geistes unwürdig" (Hanslick 2010, 91). In diesem Sinne spricht er sich entschie-
den für eine genuin ästhetische Wirkung der Musik aus und signalisiert Distanz
gegenüber einem bloß pathologischen Effekt, den diejenigen unter den Hörern
erfahren, die lediglich „das Elementarische der Musik in passiver Empfänglich-
keit auf sich wirken lassen" (ebd., 88). Dieser Auffassung Hanslicks steht der
musikalische Wirkungsanspruch Wagners mithin diametral gegenüber, der auf
die Evokation größter emotionaler Intensität beim Publikum zielt. - Zur Chrono-
logie der Entwicklung von Hanslicks Aversion gegen Wagner und zu N.s Pole-
mik gegen Hanslick vgl. Christoph Länderer 2008, 373-385.
Trotz der entschiedenen Vorbehalte, die N. gegen Hanslick hegte, lässt ein
von ihm mehrere Jahre zuvor verfasstes, in musikästhetischer Hinsicht sehr
aufschlussreiches nachgelassenes Notat von 1871 (vgl. NL 1871, 12 [1], KSA 7,
359-369) Affinitäten zu Hanslicks Musiktheorie erkennen: Denn dort attestiert
N. denjenigen, „die der Musik nur mit ihren Affekten beizukommen vermögen
[...], daß sie immer in den Vorhallen bleiben und keinen Zutritt zu dem Heilig-
thum der Musik haben werden: als welches der Affekt [...] nicht zu zeigen,
sondern nur zu symbolisiren vermag" (NL 1871, 12 [1], KSA 7, 365). In diesem