Stellenkommentar UB IV WB 2, KSA 1, S. 438 395
Wagner-Opern durch die Motive der Treue, Selbstaufopferung, Läuterung und
Tugendhaftigkeit miteinander verbunden sind.
438, 16-18 im Ringe des Nibelungen finde ich die sittlichste Musik, die ich ken-
ne, zum Beispiel dort, wo Brünnhilde von Siegfried erweckt wird] Später notierte
N. selbstkritisch: „Ich nannte ,sittlichste Musik' die Stelle, wo es am eksta-
tischsten zugeht. Charakteristisch!" (NL 1878, 27 [26], KSA 8, 491).
438, 19-20 das Glühen der Eis- und Schneegipfel in den Alpen] Die mit Pathos
aufgeladene Metaphorik der Bergeshöhe gehört traditionell zu den Topoi der
Ästhetik des Erhabenen.
438, 22-23 das Erhabene] Das Erhabene fungiert als eine ästhetische Leitkate-
gorie Wagners. Vgl. z. B. seine Schrift Beethoven (GSD IX, 78), auf die sich N.
in seiner Geburt der Tragödie bereits im „Vorwort an Richard Wagner" bezieht.
Hier hebt er das ,Erhabene' sogar eigens hervor, besonders markant in der
abschließenden Widmung: „Diesen Ernsthaften diene zur Belehrung, dass ich
von der Kunst als der höchsten Aufgabe und der eigentlich metaphysischen
Thätigkeit dieses Lebens im Sinne des Mannes überzeugt bin, dem ich hier, als
meinem erhabenen Vorkämpfer auf dieser Bahn, diese Schrift gewidmet haben
will" (KSA 1, 24, 13-18). - Zur ästhetischen Kategorie des Erhabenen vgl. NK 1/
1, 60-62.
438, 28-30 der gesammte Strom stürzte sich bald in dieses, bald in jenes Thal
und bohrte in die dunkelsten Schluchten] Eine frühere Textversion lautet: „[riß
ungestüm Felsen und Wälder an sich, zertrümmerte, tobte]" (KSA 14, 83). Die
metaphorische Gleichsetzung des Genies mit einem wilden Strom, die auf die
Antike zurückgeht, war in der literarischen Tradition seit dem Sturm und
Drang zu einem Topos avanciert. Bereits an früherer Stelle wird Wagners „hef-
tiger Wille" von N. durch das Bild „jäher Strömung" veranschaulicht (437, 4-
6), das er in einem Nachlass-Notat zu UB IV WB sogar allegorisch entfaltet (vgl.
NL 1875, 11 [42], KSA 8, 234). Vgl. dazu NK 437, 4-6. - Dass N. in der Frühphase
seines Schaffens Richard Wagner als Inbegriff des Genies bewunderte, erhellt
auch aus seinen Briefen. So erklärt er Erwin Rohde am 9. Dezember 1868 mit
Enthusiasmus: „Wagner [...] ist die leibhaftigste Illustration dessen, was Scho-
penhauer ein Genie nennt [...]" (KSB 2, Nr. 604, S. 352). Und am 25. August
1869 bezeichnet er Wagner in einem Brief an Paul Deussen als „den größten
Genius und größten Menschen dieser Zeit, durchaus incommensurabel!"
(KSB 3, Nr. 24, S. 46). - Für die topologische Gleichsetzung des schöpferischen
Genies mit einem wildbrausenden Strom galten in der deutschen Literatur Goe-
thes Hymne Mahomets-Gesang und Hölderlins Hymne Der Rhein als paradig-
matisch. In einem nachgelassenen Notat zitiert N. eine (auf das ,Genie' bezöge-
Wagner-Opern durch die Motive der Treue, Selbstaufopferung, Läuterung und
Tugendhaftigkeit miteinander verbunden sind.
438, 16-18 im Ringe des Nibelungen finde ich die sittlichste Musik, die ich ken-
ne, zum Beispiel dort, wo Brünnhilde von Siegfried erweckt wird] Später notierte
N. selbstkritisch: „Ich nannte ,sittlichste Musik' die Stelle, wo es am eksta-
tischsten zugeht. Charakteristisch!" (NL 1878, 27 [26], KSA 8, 491).
438, 19-20 das Glühen der Eis- und Schneegipfel in den Alpen] Die mit Pathos
aufgeladene Metaphorik der Bergeshöhe gehört traditionell zu den Topoi der
Ästhetik des Erhabenen.
438, 22-23 das Erhabene] Das Erhabene fungiert als eine ästhetische Leitkate-
gorie Wagners. Vgl. z. B. seine Schrift Beethoven (GSD IX, 78), auf die sich N.
in seiner Geburt der Tragödie bereits im „Vorwort an Richard Wagner" bezieht.
Hier hebt er das ,Erhabene' sogar eigens hervor, besonders markant in der
abschließenden Widmung: „Diesen Ernsthaften diene zur Belehrung, dass ich
von der Kunst als der höchsten Aufgabe und der eigentlich metaphysischen
Thätigkeit dieses Lebens im Sinne des Mannes überzeugt bin, dem ich hier, als
meinem erhabenen Vorkämpfer auf dieser Bahn, diese Schrift gewidmet haben
will" (KSA 1, 24, 13-18). - Zur ästhetischen Kategorie des Erhabenen vgl. NK 1/
1, 60-62.
438, 28-30 der gesammte Strom stürzte sich bald in dieses, bald in jenes Thal
und bohrte in die dunkelsten Schluchten] Eine frühere Textversion lautet: „[riß
ungestüm Felsen und Wälder an sich, zertrümmerte, tobte]" (KSA 14, 83). Die
metaphorische Gleichsetzung des Genies mit einem wilden Strom, die auf die
Antike zurückgeht, war in der literarischen Tradition seit dem Sturm und
Drang zu einem Topos avanciert. Bereits an früherer Stelle wird Wagners „hef-
tiger Wille" von N. durch das Bild „jäher Strömung" veranschaulicht (437, 4-
6), das er in einem Nachlass-Notat zu UB IV WB sogar allegorisch entfaltet (vgl.
NL 1875, 11 [42], KSA 8, 234). Vgl. dazu NK 437, 4-6. - Dass N. in der Frühphase
seines Schaffens Richard Wagner als Inbegriff des Genies bewunderte, erhellt
auch aus seinen Briefen. So erklärt er Erwin Rohde am 9. Dezember 1868 mit
Enthusiasmus: „Wagner [...] ist die leibhaftigste Illustration dessen, was Scho-
penhauer ein Genie nennt [...]" (KSB 2, Nr. 604, S. 352). Und am 25. August
1869 bezeichnet er Wagner in einem Brief an Paul Deussen als „den größten
Genius und größten Menschen dieser Zeit, durchaus incommensurabel!"
(KSB 3, Nr. 24, S. 46). - Für die topologische Gleichsetzung des schöpferischen
Genies mit einem wildbrausenden Strom galten in der deutschen Literatur Goe-
thes Hymne Mahomets-Gesang und Hölderlins Hymne Der Rhein als paradig-
matisch. In einem nachgelassenen Notat zitiert N. eine (auf das ,Genie' bezöge-