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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0424
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Stellenkommentar UB IV WB 3, KSA 1, S. 439-440 397

ße Richard Wagners (1933) die besondere Treue zu sich selbst als einen hervorste-
chenden Charakterzug des Komponisten (vgl. Thomas Mann 1990, Bd. IX, 363-
426). Jahrzehntelang verfolgte Wagner trotz ökonomischer Engpässe und ge-
sundheitlicher Probleme mit großer Beharrlichkeit seine Ziele und hielt konse-
quent an seinen Ideen fest, um sie in Musikdramen produktiv umzusetzen und
zur Aufführung zu bringen.

3.
440, 6-29 Es geht gefährlich und verzweifelt zu [...] mitunter geräth er in die
tiefste Dürftigkeit.] Damit spielt N. auf die Lebenssituation Wagners an, die sich
über lange Zeit sowohl in existentieller als auch in ökonomischer Hinsicht ge-
radezu prekär gestaltete. Aufgrund seines aufwendigen Lebensstils neigte
Wagner zum Schuldenmachen und war über seine Konzerteinnahmen hinaus
auf großzügige Mäzene angewiesen. - In einer Vorstufe zu dieser Textstelle
heißt es: „[...] Unaufhörlich lockt die edelste Art der Neugierde die einzelne
Begabung bei Seite; seine schaffenden Vermögen wollen selber ihren Weg ge-
hen und sich einmal in die Ferne wagen. Um nur ein Beispiel zu geben: selbst
aus der höchsten Meisterschaft seiner späteren Musik heraus tönt für den, wel-
cher hören kann, die Klage über die Grausamkeit der dramatischen Form, es
zieht ihn fast unwiderstehlich in's Symphonische, er unterwirft sich nur mit
bitterm Entschluße dem Gange des Drama's, der wie das Schicksal unerbittlich
ist, und so herrscht er gewaltsam über das gegen die Zügel schäumende Flügel-
roß der reinen Musik. - Es geht gefährlich und verzweifelt zu, im ganzen Le-
benswege Wagner's. Er hätte auf viele Arten zu Ehren und Macht kommen
können, Ruhe und Genügen bot sich ihm mehrfach in der Gestalt an, wie der
moderne Mensch sie kennt. Hierin, aber auch in dem Gegenstück dazu lagen
seine Gefahren, in dem Ekel an den modernen Arten, Lust und Ansehn zu er-
werben, in der Wuth, die sich gegen alles Behagen wendet. Nachdem er einmal
auf dem Boden des deutschen Theaters gelandet war, hielt er sich mit Gewalt
und vielem Verdruß in dieser unsteten und leichtfertigen Welt fest, nahm so
viel von ihr an und in sich auf, um in ihr leben zu können und fand sich doch
immer von Neuem wieder vom Ekel ergriffen, so stark ihn auch eine geheime
Liebe mit den Zigeunern und Ausgestoßenen unsrer Cultur verknüpfte. Sich
aus einer Lage losreißend verband er sich selten mit einer besseren, mitunter
gerieth er in tiefe Dürftigkeit" (KSA 14, 84).
440, 12 Brodern] Der mit dem englischen Wort ,breath' verwandte Begriff ,Bro-
dern' ist vom althochdeutschen Wort ,brädam‘ abgeleitet. ,Brodern' verweist
 
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