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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0522
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Stellenkommentar UB IV WB 8, KSA 1, S. 474-475 495

kompatibel (vgl. KSA 3, 456, 22-31). Dennoch findet sich später in Nietzsche
contra Wagner ein scharfes, geradezu vernichtendes Verdikt, und zwar durch
das lapidare Fazit: „Das espressivo um jeden Preis und die Musik im Dienste,
in der Sklaverei der Attitüde - das ist das Ende ..." (KSA 6, 422, 25-27).
474, 20-22 Es war, als ob von jetzt ab der Geist der Musik mit einem ganz
neuen seelischen Zauber zu ihm redete.] Wagner selbst exponierte in mehreren
Schriften den „Geist der Musik", etwa in seiner 1870 erschienenen Beethoven-
Festschrift zum 100. Geburtstag des Komponisten (GSD IX, 102). Auf sie nahm
N. schon im „Vorwort an Richard Wagner" Bezug, das er der Erstauflage seiner
Tragödienschrift (1872) voranstellte. In den vollständigen Werktitel Die Geburt
der Tragödie aus dem Geiste der Musik integrierte N. die Wagnersche Formulie-
rung „Geist der Musik", auf die er auch in der vorliegenden Textpassage von
UB IV WB zurückgreift. Ähnlich wie bereits in der Geburt der Tragödie schreibt
N. der Musik Wagners auch in UB IV WB eine besondere Innerlichkeit zu, einen
„ganz neuen seelischen Zauber", um sie von den auf äußerliche Effekte fixier-
ten Werken zeitgenössischer Musiker abzugrenzen. In seinen späten Anti-Wag-
neriana Der Fall Wagner und Nietzsche contra Wagner revidiert N. diese frühere
Einschätzung dann allerdings radikal.
474, 24-26 und so empfand er es als eine wundervolle Entdeckung, dass er
noch Musiker, noch Künstler sei, ja dass er es jetzt erst geworden sei.] In Wag-
ners Schrift Eine Mittheilung an meine Freunde (1852), die auch eine autobiogra-
phische Skizze und knappe Inhaltsangaben zu seinen wichtigsten theoreti-
schen Werken enthält, findet sich die folgende Äußerung über die Musik: „ich
will ihrer hier nur als meines guten Engels gedenken, der mich als Künstler
bewahrte, ja in Wahrheit erst zum Künstler machte von einer Zeit an, wo mein
empörtes Gefühl mit immer größerer Bestimmtheit gegen unsere ganzen Kul-
turzustände sich auflehnte [...]" (GSD IV, 263).
475, 10-11 Wagner wird zum Revolutionär der Gesellschaft] Richard
Wagner engagierte sich 1849 beim Dresdener Mai-Aufstand und musste danach
die Flucht antreten, weil er steckbrieflich gesucht wurde. N. betont wenig spä-
ter, Wagner sei „aus Mitleid mit dem Volke zum Revolutionär geworden" und
habe sich „nach ihm" gesehnt, „wie er sich nach seiner Kunst sehnte", weil er
das Volk als „den einzigen Zuschauer und Zuhörer" ansah, „welcher der Macht
seines Kunstwerkes [...] würdig" sei (476, 8-14). In seiner Schrift Die Kunst und
die Revolution (GSD III, 8-41) von 1849 erklärt Richard Wagner im Hinblick auf
die Tragödie: „Aber eben die Revolution, nicht etwa die Restauration,
kann uns jenes höchste Kunstwerk wiedergeben [...]" (GSD III, 30). Durch die
radikalen politischen Überzeugungen, die Wagner am Ende der 1840er Jahre
 
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