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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0551
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524 Richard Wagner in Bayreuth

findung und Handlung in der Oper offenbare, mithin „gleichsam die Seele"
des Dramas darstelle (vgl. WWV II, Kap. 39, Hü 513-514). Zur Thematik der Mu-
sikästhetik vgl. auch NK 454, 11-14, NK 458, 12 und NK 488, 24-33.
486, 25 sein Schlag gegen den Felsen] Anspielung auf eine Bibelstelle: „Und
die ganze Gemeinde der Israeliten zog aus der Wüste Sin weiter ihre Tagerei-
sen, wie ihnen der Herr befahl [...] Da hatte das Volk kein Wasser zu trinken.
Und sie haderten mit Mose und sprachen: Gib uns Wasser, daß wir trinken.
[...] Mose schrie zum Herrn [...] Der Herr sprach zu ihm: Tritt hin vor das Volk
[...] und nimm deinen Stab in deine Hand [...] Siehe, ich will dort vor dir stehen
auf dem Fels am Horeb. Da sollst du an den Felsen schlagen, so wird Wasser
herauslaufen, daß das Volk trinke" (2. Mose 17, 1-6).
486, 26-31 Gerade Wagner hat, weil er diese Sprache mehr liebte und mehr
von ihr forderte, auch mehr als ein anderer Deutscher an ihrer Entartung und
Schwächung gelitten, also an den vielfältigen Verlusten und Verstümmelungen
der Formen, an dem schwerfälligen Partikelwesen unserer Satzfügung, an den
unsingbaren Hülfszeitwörtern] N. identifiziert sich auch selbst mit der Sprach-
kritik, die er Wagner zuschreibt. Das zeigen seine Ausführungen zum Verfall
der deutschen Sprache. In nachgelassenen Notaten plädiert N. dafür, „mit der
deutschen Sprache sich endlich artistisch zu befassen" (NL 1876, 15 [3], KSA 8,
279) und „auf die Sprache Blut und Kraft" zu verwenden (NL 1874, 37 [7], KSA 7,
833). Einen solchen künstlerischen Sprachgebrauch meinte N. bei Wagner fest-
stellen zu können.
486, 33 - 487, 4 Dagegen empfand er mit tiefem Stolze die auch jetzt noch
vorhandene Ursprünglichkeit und Unerschöpflichkeit dieser Sprache, die tonvolle
Kraft ihrer Wurzeln, in welchen er, im Gegensatz zu den höchst abgeleiteten,
künstlich rhetorischen Sprachen der romanischen Stämme, eine wunderbare Nei-
gung und Vorbereitung zur Musik, zur wahren Musik ahnte.] Vgl. dazu Richard
Wagners Darlegungen in seinem theoretischen Hauptwerk Oper und Drama
(1851): „Überblicken wir nun die Sprachen der europäischen Nationen, die bis-
her einen selbständigen Antheil an der Entwickelung des musikalischen Dra-
ma's, der Oper, genommen haben, - und diese sind nur Italiener, Franzosen
und Deutsche -, so finden wir, daß von diesen drei Nationen nur die deut-
sche eine Sprache besitzt, die im gewöhnlichen Gebrauche noch unmittelbar
und kenntlich mit ihren Wurzeln zusammenhängt. Italiener und Franzosen
sprechen eine Sprache, deren wurzelhafte Bedeutung ihnen nur auf dem Wege
des Studiums aus älteren, sogenannten todten Sprachen verständlich werden
kann: man kann sagen, ihre Sprache [...] spricht für sie, nicht aber sprechen
sie selbst in ihrer Sprache [...] von allen modernen Opernsprachen ist nur die
 
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