4 Morgenröthe
ihm studierte Aufklärungsbewegung des 18. und 19. Jahrhunderts sowie zeitge-
nössische Szenarien und Debatten in literarischen, philosophischen und (po-
pulär-)wissenschaftlichen Zeugnissen. Zur historischen Kontur gehören auch
die politischen und sozialen Implikationen und Intentionen von Nietzsches
Schriftstellerei. Sie sind oft nur ,philosophisch' übertüncht. Besonders heran-
gezogen wurden die für die geistigen Strömungen der Zeit repräsentativen
Zeugnisse - sie reichen über die im engeren Sinn als Quellen identifizierbaren
Werke hinaus. Eine historische Einbettung erschien umso notwendiger, als
Nietzsche sich gern als einsamen Originaldenker, als „unzeitgemäßen" Quer-
denker und als prophetischen Vordenker der Zukunft inszenierte. Trotz seiner
aufgrund eines ausgeprägten Originalitätsanspruchs von früh an und bis ins
Spätwerk hinein betonten Sonderrolle blieb er ein Sohn seiner Zeit, wenn auch
mit der Tendenz zur Radikalisierung und mit einer rhetorisch bewusst einge-
setzten ,persönlichen' Färbung bis in seinen Stil hinein. Nicht vergessen wer-
den durften Nietzsches biographisch fassbare Probleme, die er in seinen Brie-
fen erkennen lässt und in vielen Aussagen der Morgenröthe verarbeitet.
Die moderne Wahrnehmung Nietzsches ist wesentlich durch eine hoch-
ideologisierte Wirkungsgeschichte bestimmt, die wenig mit der Kenntnis seiner
Texte und ihrer Voraussetzungen zusammenhängt. Sie hat sich weitgehend
verselbständigt. Die frühe Wirkungsgeschichte Nietzsches ist umfassend doku-
mentiert in der vierbändigen Bibliographie von Richard Frank Krümmel: Nietz-
sche und der deutsche Geist sowie in der fundierten und zeitlich weiterreichen-
den Darstellung von Steven Ε. Aschheim: Nietzsche und die Deutschen. Karriere
eines Kults.
Die für alle Bände des Nietzsche-Kommentars geltende Einteilung in einen
orientierenden Überblickskommentar und in Stellenkommentare wurde beibe-
halten. Doch habe ich zusätzlich zum Gesamtüberblick noch einzelne Über-
blickskommentare eingefügt, die der näheren Hinführung des Lesers zu jedem
der fünf Bücher der Morgenröthe dienen.
Die drei großen aphoristischen Schriften Menschliches, Allzumenschliches,
Morgenröthe und Die Fröhliche Wissenschaft bilden nicht nur inhaltlich einen
Werkkomplex insofern sie sich am aufklärerischen Ideal des Freigeists orientie-
ren und damit Nietzsches ,mittlere' Werkphase konstituieren; sie heben sich
auch strul<turell von Nietzsches frühen und späten Schriften ab: als kleinteilige
Sammlungen einer Vielzahl von Kurztexten. Denn die frühen Schriften - Die
Geburt der Tragödie und die Unzeitgemäßen Betrachtungen - und ähnlich die
späten Werke haben eine festumrissene kompositorische Struktur. Diese unter-
schiedlichen Strukturen haben die Kommentare in angemessener Weise abzu-
bilden.
Viel verdankt der Kommentar den schon vorhandenen Quellen-Forschun-
gen, insbesondere denjenigen von Marco Brusotti und Andrea Orsucci. Ein un-
ihm studierte Aufklärungsbewegung des 18. und 19. Jahrhunderts sowie zeitge-
nössische Szenarien und Debatten in literarischen, philosophischen und (po-
pulär-)wissenschaftlichen Zeugnissen. Zur historischen Kontur gehören auch
die politischen und sozialen Implikationen und Intentionen von Nietzsches
Schriftstellerei. Sie sind oft nur ,philosophisch' übertüncht. Besonders heran-
gezogen wurden die für die geistigen Strömungen der Zeit repräsentativen
Zeugnisse - sie reichen über die im engeren Sinn als Quellen identifizierbaren
Werke hinaus. Eine historische Einbettung erschien umso notwendiger, als
Nietzsche sich gern als einsamen Originaldenker, als „unzeitgemäßen" Quer-
denker und als prophetischen Vordenker der Zukunft inszenierte. Trotz seiner
aufgrund eines ausgeprägten Originalitätsanspruchs von früh an und bis ins
Spätwerk hinein betonten Sonderrolle blieb er ein Sohn seiner Zeit, wenn auch
mit der Tendenz zur Radikalisierung und mit einer rhetorisch bewusst einge-
setzten ,persönlichen' Färbung bis in seinen Stil hinein. Nicht vergessen wer-
den durften Nietzsches biographisch fassbare Probleme, die er in seinen Brie-
fen erkennen lässt und in vielen Aussagen der Morgenröthe verarbeitet.
Die moderne Wahrnehmung Nietzsches ist wesentlich durch eine hoch-
ideologisierte Wirkungsgeschichte bestimmt, die wenig mit der Kenntnis seiner
Texte und ihrer Voraussetzungen zusammenhängt. Sie hat sich weitgehend
verselbständigt. Die frühe Wirkungsgeschichte Nietzsches ist umfassend doku-
mentiert in der vierbändigen Bibliographie von Richard Frank Krümmel: Nietz-
sche und der deutsche Geist sowie in der fundierten und zeitlich weiterreichen-
den Darstellung von Steven Ε. Aschheim: Nietzsche und die Deutschen. Karriere
eines Kults.
Die für alle Bände des Nietzsche-Kommentars geltende Einteilung in einen
orientierenden Überblickskommentar und in Stellenkommentare wurde beibe-
halten. Doch habe ich zusätzlich zum Gesamtüberblick noch einzelne Über-
blickskommentare eingefügt, die der näheren Hinführung des Lesers zu jedem
der fünf Bücher der Morgenröthe dienen.
Die drei großen aphoristischen Schriften Menschliches, Allzumenschliches,
Morgenröthe und Die Fröhliche Wissenschaft bilden nicht nur inhaltlich einen
Werkkomplex insofern sie sich am aufklärerischen Ideal des Freigeists orientie-
ren und damit Nietzsches ,mittlere' Werkphase konstituieren; sie heben sich
auch strul<turell von Nietzsches frühen und späten Schriften ab: als kleinteilige
Sammlungen einer Vielzahl von Kurztexten. Denn die frühen Schriften - Die
Geburt der Tragödie und die Unzeitgemäßen Betrachtungen - und ähnlich die
späten Werke haben eine festumrissene kompositorische Struktur. Diese unter-
schiedlichen Strukturen haben die Kommentare in angemessener Weise abzu-
bilden.
Viel verdankt der Kommentar den schon vorhandenen Quellen-Forschun-
gen, insbesondere denjenigen von Marco Brusotti und Andrea Orsucci. Ein un-