8 Morgenröthe
Stresa und Genua auf. Inspiriert von seinem venezianischen Aufenthalt diktier-
te er im Frühjahr 1880 unter dem Titel L'Ombra di Venezia seinem Anhänger
Heinrich Köselitz eine Sammlung von 262 Kurztexten, von denen einige in die
Morgenröthe eingingen. Aus weiteren Notizbüchern entstanden im Sommer,
Herbst und Winter 1880/1881 die Reinschrift der Morgenröthe und zahlreiche
Aufzeichnungen, die im Nachlass aus dieser Zeit versammelt sind (KSA 9, 103-
408). Am 25. Januar 1881 sandte N. die Reinschrift an Köselitz (Peter Gast), der
davon eine gut lesbare Abschrift für den Verlag anfertigen sollte. Noch aber
war der endgültige Titel nicht gefunden. Auf die erste Seite der Reinschrift
schrieb N. folgenden, auf ein Notat vom September 1876 zurückgreifenden Ti-
tel: „Die Pflugschar. Gedanken über die moralischen Vorurtheile" (18[1], KSA
8, 314, 2-5; 18[62], KSA 8, 331, 12-16; vgl. die Zitate im Stellenkommentar zum
Titel S. 65-67. Köselitz fügte in seiner Abschrift die Worte bei: „Es giebt so viele
Morgenröthen, die noch nicht geleuchtet haben. Rigveda". Das gefiel N. so gut,
dass er am 9. Februar 1881 an Köselitz schrieb: „Auch will ich den Titel ändern;
Sie haben mich dadurch, daß Sie den zufällig hingeschriebenen Vers aus dem
Hymnus an Varuna als Μottο nahmen, auf den Gedanken gebracht: sollte das
Buch nicht heißen: ,Eine Morgenröthe. Gedanken über die moralischen
Vorurtheile u.s.w."' (KSB 6/KGB III/1, Nr. 80, S. 61, Z. 12-16)
Von Schmerzen gequält, dachte N. zu dieser Zeit an Selbstmord. Am
22. Februar 1881 schrieb er an Köselitz: „Ich bin so durch fortwährende Schmer-
zen zerbrochen, daß ich nichts mehr beurtheilen kann, ich sinne darüber nach,
ob es mir nun endlich nicht erlaubt sei, die ganze Bürde abzuwerfen; mein
Vater als er so alt war wie ich es bin, starb." Seine physische und psychische
Krankheit hatte mehrere Ursachen: Als Hauptursache sah N. selbst in seinen
Briefen aus dieser Zeit die erbliche Veranlagung, der Vater war mit 36 Jahren
(N.s Alter zur Zeit der Morgenröthe) an Gehirnerweichung gestorben. Hinzu ka-
men 10 Jahre (1869-1879) zerstörerischer Überanstrengung, nachdem er auf
die Empfehlung seines akademischen Lehrers Ritschl hin, wie er selbst später
feststellte, viel zu jung, unpromoviert, unhabilitiert und ohne Repertoire den
Lehrstuhl für Klassische Philologie an der Universität Basel und zudem die
Verpflichtung als Gymnasiallehrer am Basler Pädagogium zu übernehmen hat-
te. Zugleich engagierte er sich intensiv für Richard Wagner und musste viele
Erwartungen der Basler Gesellschaft an den Neuberufenen erfüllen. Nicht zu-
letzt erreichte zur Zeit der Morgenröthe und im Vorfeld des bereits projektierten
Zarathustra seine Syphilis-Erkrankung ihre desaströs enthemmende Phase.
Vom exzessiven Gebrauch des Opiums spricht er selbst in mehreren Briefen,
so in KSB 6/KGB ΙΙΙ/1, Nr. 360 und Nr. 361 (vgl. hierzu die Nachweise und die
näheren Details im Kommentar von Sebastian Kaufmann zu den Idyllen aus
Messina, S. 527): N. suchte rauschhaft-produktive Steigerungszustände, um
Stresa und Genua auf. Inspiriert von seinem venezianischen Aufenthalt diktier-
te er im Frühjahr 1880 unter dem Titel L'Ombra di Venezia seinem Anhänger
Heinrich Köselitz eine Sammlung von 262 Kurztexten, von denen einige in die
Morgenröthe eingingen. Aus weiteren Notizbüchern entstanden im Sommer,
Herbst und Winter 1880/1881 die Reinschrift der Morgenröthe und zahlreiche
Aufzeichnungen, die im Nachlass aus dieser Zeit versammelt sind (KSA 9, 103-
408). Am 25. Januar 1881 sandte N. die Reinschrift an Köselitz (Peter Gast), der
davon eine gut lesbare Abschrift für den Verlag anfertigen sollte. Noch aber
war der endgültige Titel nicht gefunden. Auf die erste Seite der Reinschrift
schrieb N. folgenden, auf ein Notat vom September 1876 zurückgreifenden Ti-
tel: „Die Pflugschar. Gedanken über die moralischen Vorurtheile" (18[1], KSA
8, 314, 2-5; 18[62], KSA 8, 331, 12-16; vgl. die Zitate im Stellenkommentar zum
Titel S. 65-67. Köselitz fügte in seiner Abschrift die Worte bei: „Es giebt so viele
Morgenröthen, die noch nicht geleuchtet haben. Rigveda". Das gefiel N. so gut,
dass er am 9. Februar 1881 an Köselitz schrieb: „Auch will ich den Titel ändern;
Sie haben mich dadurch, daß Sie den zufällig hingeschriebenen Vers aus dem
Hymnus an Varuna als Μottο nahmen, auf den Gedanken gebracht: sollte das
Buch nicht heißen: ,Eine Morgenröthe. Gedanken über die moralischen
Vorurtheile u.s.w."' (KSB 6/KGB III/1, Nr. 80, S. 61, Z. 12-16)
Von Schmerzen gequält, dachte N. zu dieser Zeit an Selbstmord. Am
22. Februar 1881 schrieb er an Köselitz: „Ich bin so durch fortwährende Schmer-
zen zerbrochen, daß ich nichts mehr beurtheilen kann, ich sinne darüber nach,
ob es mir nun endlich nicht erlaubt sei, die ganze Bürde abzuwerfen; mein
Vater als er so alt war wie ich es bin, starb." Seine physische und psychische
Krankheit hatte mehrere Ursachen: Als Hauptursache sah N. selbst in seinen
Briefen aus dieser Zeit die erbliche Veranlagung, der Vater war mit 36 Jahren
(N.s Alter zur Zeit der Morgenröthe) an Gehirnerweichung gestorben. Hinzu ka-
men 10 Jahre (1869-1879) zerstörerischer Überanstrengung, nachdem er auf
die Empfehlung seines akademischen Lehrers Ritschl hin, wie er selbst später
feststellte, viel zu jung, unpromoviert, unhabilitiert und ohne Repertoire den
Lehrstuhl für Klassische Philologie an der Universität Basel und zudem die
Verpflichtung als Gymnasiallehrer am Basler Pädagogium zu übernehmen hat-
te. Zugleich engagierte er sich intensiv für Richard Wagner und musste viele
Erwartungen der Basler Gesellschaft an den Neuberufenen erfüllen. Nicht zu-
letzt erreichte zur Zeit der Morgenröthe und im Vorfeld des bereits projektierten
Zarathustra seine Syphilis-Erkrankung ihre desaströs enthemmende Phase.
Vom exzessiven Gebrauch des Opiums spricht er selbst in mehreren Briefen,
so in KSB 6/KGB ΙΙΙ/1, Nr. 360 und Nr. 361 (vgl. hierzu die Nachweise und die
näheren Details im Kommentar von Sebastian Kaufmann zu den Idyllen aus
Messina, S. 527): N. suchte rauschhaft-produktive Steigerungszustände, um