Überblickskommentar 17
Immer wieder beruft sich N. in der Morgenröthe auf die „Wirklichkeit", um
ähnlich wie schon die Aufklärung des 18. Jahrhunderts gegen metaphysische
Spekulationen anzugehen und religiöse und ,moralische' Wertungen zu unter-
graben. Nicht zuletzt führt er romantische Illusionen ad absurdum: Damit steht
er in einer seit Heines Romantischer Schule, die er rezipierte, bis zu den Epo-
chen der Realismus und Naturalismus sich immer mehr verstärkenden antime-
taphysischen und antiromantischen Zeitströmung. Sie hatte auch zu einer Ak-
tualisierung des Empirismus und des Sensualismus geführt. N. erwarb entspre-
chende Werke, die nach der „Wirklichkeit" fragen; zwei von ihnen, die von
dieser Thematik ausgehend dem philosophischen Erkenntnisproblem gelten,
studierte er genauer, wie die zahlreichen Randbemerkungen und unterstriche-
nen Textpartien, aber auch Reflexe in Texten der Morgenröthe erkennen lassen:
Afrikan Spir: Denken und Wirklichkeit. Versuch einer Erneuerung der kritischen
Philosophie (2. Aufl. 1877) und Otto Liebmann: Zur Analysis der Wirklichkeit.
Eine Erörterung der Grundprobleme der Philosophie (2. Aufl. 1880).
Da in den 575 Kurztexten der Morgenröthe neben den genannten Hauptthe-
men auch viele andere mehr oder weniger beiläufig traktiert werden und ver-
schiedenste Lektüren erkennen lassen, bleiben diese den Nachweisen in den
Einzelkommentaren vorbehalten. Auf weiten Strecken ist nach wie vor N.s alt-
philologischer Fundus von Belang. Schopenhauers Werke bleiben, wie schon
gesagt, in Zustimmung und Widerspruch direkt oder indirekt wichtige Bezugs-
texte. Auch sie zitiert N. allerdings oft nur nach sekundären Darstellungen in
der zeitgenössischen Mode-Literatur über Schopenhauer.
Konzeption und Struktur
Die Schrift, der N. den Untertitel Gedanken über die moralischen Vorurtheile
gab, folgt dem gleichen Doppel-Impuls wie Menschliches, Allzumenschliches
und Die fröhliche Wissenschaft: der Absage an die romantisch-,metaphysische'
Orientierung des Frühwerks und der Hinwendung zu einem kritischen, radikal-
aufklärerischen Denken, zur illusionslosen Analyse und zu einer subversiven
Skepsis, die alle geltenden Wertungen und deren Inbegriff, die ,Moral', hinter-
fragt, ja als bloße Vorurteile entlarvt. Schon im ersten Satz der späteren „Vorre-
de" nennt sich N. deshalb einen „Bohrenden, Grabenden, Untergrabenden"
(11, 4). Unter ,Moral' versteht N. primär die christliche Moral, in deren Bann
das abendländische Denken fast zwei Jahrtausende stand, eine Moral, die ihre
entschiedenste Ausprägung in den Werturteilen „gut" und „böse" fand. Diese
Urteile als Vorurteile darzustellen und die ihnen sowohl zugrundeliegenden
wie von ihnen folgenreich ausgehenden Wertungen als fragwürdig zu begrei-
fen, ist ein Hauptziel N.s. Damit folgte er allen voran den Abhandlungen seines
Immer wieder beruft sich N. in der Morgenröthe auf die „Wirklichkeit", um
ähnlich wie schon die Aufklärung des 18. Jahrhunderts gegen metaphysische
Spekulationen anzugehen und religiöse und ,moralische' Wertungen zu unter-
graben. Nicht zuletzt führt er romantische Illusionen ad absurdum: Damit steht
er in einer seit Heines Romantischer Schule, die er rezipierte, bis zu den Epo-
chen der Realismus und Naturalismus sich immer mehr verstärkenden antime-
taphysischen und antiromantischen Zeitströmung. Sie hatte auch zu einer Ak-
tualisierung des Empirismus und des Sensualismus geführt. N. erwarb entspre-
chende Werke, die nach der „Wirklichkeit" fragen; zwei von ihnen, die von
dieser Thematik ausgehend dem philosophischen Erkenntnisproblem gelten,
studierte er genauer, wie die zahlreichen Randbemerkungen und unterstriche-
nen Textpartien, aber auch Reflexe in Texten der Morgenröthe erkennen lassen:
Afrikan Spir: Denken und Wirklichkeit. Versuch einer Erneuerung der kritischen
Philosophie (2. Aufl. 1877) und Otto Liebmann: Zur Analysis der Wirklichkeit.
Eine Erörterung der Grundprobleme der Philosophie (2. Aufl. 1880).
Da in den 575 Kurztexten der Morgenröthe neben den genannten Hauptthe-
men auch viele andere mehr oder weniger beiläufig traktiert werden und ver-
schiedenste Lektüren erkennen lassen, bleiben diese den Nachweisen in den
Einzelkommentaren vorbehalten. Auf weiten Strecken ist nach wie vor N.s alt-
philologischer Fundus von Belang. Schopenhauers Werke bleiben, wie schon
gesagt, in Zustimmung und Widerspruch direkt oder indirekt wichtige Bezugs-
texte. Auch sie zitiert N. allerdings oft nur nach sekundären Darstellungen in
der zeitgenössischen Mode-Literatur über Schopenhauer.
Konzeption und Struktur
Die Schrift, der N. den Untertitel Gedanken über die moralischen Vorurtheile
gab, folgt dem gleichen Doppel-Impuls wie Menschliches, Allzumenschliches
und Die fröhliche Wissenschaft: der Absage an die romantisch-,metaphysische'
Orientierung des Frühwerks und der Hinwendung zu einem kritischen, radikal-
aufklärerischen Denken, zur illusionslosen Analyse und zu einer subversiven
Skepsis, die alle geltenden Wertungen und deren Inbegriff, die ,Moral', hinter-
fragt, ja als bloße Vorurteile entlarvt. Schon im ersten Satz der späteren „Vorre-
de" nennt sich N. deshalb einen „Bohrenden, Grabenden, Untergrabenden"
(11, 4). Unter ,Moral' versteht N. primär die christliche Moral, in deren Bann
das abendländische Denken fast zwei Jahrtausende stand, eine Moral, die ihre
entschiedenste Ausprägung in den Werturteilen „gut" und „böse" fand. Diese
Urteile als Vorurteile darzustellen und die ihnen sowohl zugrundeliegenden
wie von ihnen folgenreich ausgehenden Wertungen als fragwürdig zu begrei-
fen, ist ein Hauptziel N.s. Damit folgte er allen voran den Abhandlungen seines