Überblickskommentar 45
„Gefühl von Macht" (101, 31), dem auch zahlreiche nachgelassene Notate vom
Sommer 1880 gelten. Das vorher als undefinierbar erklärte „Glück" des Einzel-
nen wird nunmehr zum Selbstgenuss im Machtgefühl umgemünzt: N. spricht
vom „Glück, als das lebendigste Gefühl der Macht gedacht" (103, 22), und er
treibt die psychologische Spekulation bis zu der Vorstellung von „Wollüsten
der Macht" (104, 14 f.). Schließlich bezeichnet er eine solche Vorstellung als
„Ausschweifung im Nachdenken über Alles, was in der seelischen Ausschwei-
fung des Machtgelüstes" möglich ist (104, 24 f.).
Unter der Überschrift „Zur Naturgeschichte von Pflicht und
Recht" (100,7) reduziert N. die grundlegenden gesellschaftlichen Beziehun-
gen, die sich sowohl im staatlichen wie im intersubjektiv-privaten Bereich aus-
prägen, auf Machtrelationen. Die ,Natur' in der „Naturgeschichte von Pflicht
und Recht" ist für ihn eine als Machtpotential gedachte Natur. Politisch defi-
niert er die Geltung des Rechts nicht als eine durch das Machtgefüge garantier-
te Ordnung, die auf eine übergeordnete Rechtsidee oder den Rechtsfrieden
zielt, sondern als eine vornehmlich auf die Stabilisierung von Macht selbst be-
zogene Maßgabe: „Wo Recht herrscht, da wird ein Zustand und Grad von
Macht aufrecht erhalten, eine Verminderung und Vermehrung abgewehrt" (101,
28-30). N. versucht sogar, das Recht in den zwischenmenschlichen Beziehun-
gen grundsätzlich als eine beliebig veränderliche Funktion von Machtrelatio-
nen zu verstehen: „Das Recht Anderer ist die Concession unseres Gefühls von
Macht an das Gefühl von Macht bei diesen Anderen. Wenn sich unsere Macht
tief erschüttert und gebrochen zeigt, so hören unsere Rechte auf: dagegen hö-
ren, wenn wir sehr viel mächtiger geworden sind, die Rechte Anderer für uns
auf, wie sie bis jetzt ihnen zugestanden" (101, 30-102, 2).
Doch bleibt N. nicht bei gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Be-
ziehungen stehen; er sieht auch die Selbstbeziehung des Menschen durch
Machtgefühle und Machtvorstellungen bestimmt. In exemplarischer Weise gilt
dies für das in M 113 dargestellte „Streben nach Auszeichnung" (102,
10). Wie der Mensch, indem er sich auszeichnet, den Anderen überwältigt und
damit Macht über ihn ausübt, so übt er durch das Streben nach Auszeichnung
auch Macht gegen sich selbst aus. N. demonstriert dies an einer Extremfigur,
um die äußersten Konsequenzen dieser Art von Selbstbeziehung zu ermessen,
die auf physische Selbstnegation und Selbstzerstörung hinausläuft: am Aske-
ten. Es handelt sich um eine Figur, die ihm von Schopenhauer her vertraut
war: In Schopenhauers Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung entspricht
der Asket mit radikaler Konsequenz der pessimistischen Grundeinsicht in die
Negativität des vom Leiden bestimmten Daseins. Für Schopenhauer resultiert
daraus eine nihilistische Einstellung zum Leben. Bezeichnenderweise lässt er
sein Werk, mit explizitem Rückgriff auf die buddhistische Nirwana-Lehre, in
„Gefühl von Macht" (101, 31), dem auch zahlreiche nachgelassene Notate vom
Sommer 1880 gelten. Das vorher als undefinierbar erklärte „Glück" des Einzel-
nen wird nunmehr zum Selbstgenuss im Machtgefühl umgemünzt: N. spricht
vom „Glück, als das lebendigste Gefühl der Macht gedacht" (103, 22), und er
treibt die psychologische Spekulation bis zu der Vorstellung von „Wollüsten
der Macht" (104, 14 f.). Schließlich bezeichnet er eine solche Vorstellung als
„Ausschweifung im Nachdenken über Alles, was in der seelischen Ausschwei-
fung des Machtgelüstes" möglich ist (104, 24 f.).
Unter der Überschrift „Zur Naturgeschichte von Pflicht und
Recht" (100,7) reduziert N. die grundlegenden gesellschaftlichen Beziehun-
gen, die sich sowohl im staatlichen wie im intersubjektiv-privaten Bereich aus-
prägen, auf Machtrelationen. Die ,Natur' in der „Naturgeschichte von Pflicht
und Recht" ist für ihn eine als Machtpotential gedachte Natur. Politisch defi-
niert er die Geltung des Rechts nicht als eine durch das Machtgefüge garantier-
te Ordnung, die auf eine übergeordnete Rechtsidee oder den Rechtsfrieden
zielt, sondern als eine vornehmlich auf die Stabilisierung von Macht selbst be-
zogene Maßgabe: „Wo Recht herrscht, da wird ein Zustand und Grad von
Macht aufrecht erhalten, eine Verminderung und Vermehrung abgewehrt" (101,
28-30). N. versucht sogar, das Recht in den zwischenmenschlichen Beziehun-
gen grundsätzlich als eine beliebig veränderliche Funktion von Machtrelatio-
nen zu verstehen: „Das Recht Anderer ist die Concession unseres Gefühls von
Macht an das Gefühl von Macht bei diesen Anderen. Wenn sich unsere Macht
tief erschüttert und gebrochen zeigt, so hören unsere Rechte auf: dagegen hö-
ren, wenn wir sehr viel mächtiger geworden sind, die Rechte Anderer für uns
auf, wie sie bis jetzt ihnen zugestanden" (101, 30-102, 2).
Doch bleibt N. nicht bei gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Be-
ziehungen stehen; er sieht auch die Selbstbeziehung des Menschen durch
Machtgefühle und Machtvorstellungen bestimmt. In exemplarischer Weise gilt
dies für das in M 113 dargestellte „Streben nach Auszeichnung" (102,
10). Wie der Mensch, indem er sich auszeichnet, den Anderen überwältigt und
damit Macht über ihn ausübt, so übt er durch das Streben nach Auszeichnung
auch Macht gegen sich selbst aus. N. demonstriert dies an einer Extremfigur,
um die äußersten Konsequenzen dieser Art von Selbstbeziehung zu ermessen,
die auf physische Selbstnegation und Selbstzerstörung hinausläuft: am Aske-
ten. Es handelt sich um eine Figur, die ihm von Schopenhauer her vertraut
war: In Schopenhauers Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung entspricht
der Asket mit radikaler Konsequenz der pessimistischen Grundeinsicht in die
Negativität des vom Leiden bestimmten Daseins. Für Schopenhauer resultiert
daraus eine nihilistische Einstellung zum Leben. Bezeichnenderweise lässt er
sein Werk, mit explizitem Rückgriff auf die buddhistische Nirwana-Lehre, in