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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0080
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Stellenkommentar
Titel und Motto: Morgenröthe. / Gedanken über die moralischen Vorurtheile.]
Wie schon in den Ausführungen zur Entstehung dargestellt, gehen der Titel
und das Motto auf eine Notiz von Peter Gast zurück. N. hatte zuerst folgenden
Titel erwogen: Die Pflugschar. Gedanken über die moralischen Vorurtheile. Die
programmatische Metapher „Pflugschar" erscheint bereits in mehreren Nota-
ten vom September 1876, als N. mit der Niederschrift von Menschliches, Allzu-
menschliches begann. In NL 1876, 18[1], KSA 8, 314, 1-5 steht unter der Über-
schrift Die Pflugschar folgendes Zitat: „,Willst du mir folgen, so baue mit
dem Pfluge! dann geniessen deiner Viele, dein geneusst sicherlich der Arme
und der Reiche, dein geneusst der Wolf und der Aar und durchaus alle Crea-
tur.' / Der Meier Helmbrecht." In NL 1876, 18[62], KSA 8, 331, 12-17 heißt es:
„Die Pflugschar schneidet in das harte und das weiche Erdreich, sie geht über
Hohes und Tiefes hinweg und bringt es sich nah. Diess Buch ist für den Guten
und den Bösen, für den Niedrigen und den Mächtigen. Der Böse, der es liest,
wird besser werden, der Gute schlechter, der Geringe mächtiger, der Mächtige
geringer". Die in diesem Programm erkennbare Reduktion auf „Menschliches,
Allzumenschliches" gilt nicht mehr für die Morgenröthe. Im Zarathustra-Kapi-
tel „Von den Tugendhaften" orientiert N. die Metapher der „Pflugschar" näher
am eigenen Verfahren einer psychologisierenden Moralkritik: „Ach, das ist
meine Trauer: in den Grund der Dinge hat man Lohn und Strafe hineingelo-
gen - und nun auch noch in den Grund eurer Seelen, ihr Tugendhaften! / Aber
dem Rüssel des Ebers gleich soll mein Wort den Grund eurer Seelen aufreissen;
Pflugschar will ich euch heissen. / Alle Heimlichkeiten eures Grundes sollen
an's Licht; und wenn ihr aufgewühlt und zerbrochen in der Sonne liegt, wird
auch eure Lüge von eurer Wahrheit ausgeschieden sein" (KSA 4, 120, 17-24).
Peter Gast schrieb auf die erste Seite der Kopie, die er von N.s Manuskript
anfertigte, das dann von N. als Motto übernommene Zitat aus dem Rigveda,
dem ältesten Teil der Veden. Veda heißt im Altindischen ,Wissen'. Dieses Wis-
sen' meint die Kenntnis und die Aneignung der im Rigveda versammelten reli-
giösen Texte, welche die Voraussetzung für die Zugehörigkeit zum orthodoxen
Hinduismus bildete. Der Rigveda mit seinen 1028 Götterhymnen wurde vor dem
1. Jahrtausend v. Chr. verfasst. Er ist das älteste Zeugnis der indischen Religion
und Literatur, das lange vor dem Buddhismus entstand. Bereits die Romantiker
entwickelten ein besonderes Interesse für die indische Literatur (vgl. NK M
197), und im 19. Jahrhundert nahm die weltanschauliche Orientierung am Bud-
dhismus wie an den älteren, vorbuddhistischen Schriften immer mehr zu. Sie
war auch von bedeutenden wissenschaftlichen Werken befördert worden. Der
für N. ebenso wie für Wagner maßgebliche Vermittler dieser weltanschaulichen
 
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