Stellenkommentar Erstes Buch, KSA 3, S. 45 127
sehen ist, dass dasselbe sich vielmehr willenlos den äusseren Umständen an-
passt und durch diese bestimmen lässt. / Das grosse speculative Verdienst der
Lehre Darwin's besteht vor Allem darin, auf die Wege oder die Weisen des
Verfahrens der Natur in der Bildung organischer Wesen überhaupt aufmerk-
sam gemacht zu haben. Denn bei näherem Zusehen hat es sich sofort herausge-
stellt, dass das Wirken der Natur bei aller Zweckmässigkeit dennoch keine be-
wusste Absicht verräth. Es läuft da so Vieles mit unter, was den vorausgesetz-
ten Zwecken direct entgegenwirkt und ihre Zwecke selbst erreicht die Natur
auf Wegen, welche kein mit Ueberlegung handelndes Wesen wählen würde"
(Spir 1877, Bd. 2, 155 f.).
Paul Ree, der sich intensiv mit Darwin befasste, und N. nahmen die zeitge-
nössische Darwin-Rezeption und die sich anschließenden Debatten auf. Zahl-
reiche Schriften und Zeitschriften informierten in den Siebziger Jahren über
Darwin und seinen Widerhall in Deutschland. Die von N. eifrig studierte Zeit-
schrift Das Ausland, die wiederholt über Darwin berichtete, bemerkt in dem
Artikel „Charles Darwin. Eine biographische Skizze" (Das Ausland 1870, 314-
320, dort 320): „In mehreren deutschen Universitäten (z. B. Jena, Bonn und
Kiel) wurde bereits der Darwinismus als besonderes Colleg Studirenden aller
Facultäten bei überfüllten Auditorien vorgetragen". In der von Robert Hart-
mann, Rees Berliner akademischem Lehrer, mitbegründeten Zeitschrift für Eth-
nologie gab J. W. Spengel im 3. Band einen Überblick über die „in Deutschland
über die Darwinische Theorie erschienenen Werke und Aufsätze" mit einem
„Verzeichnis der hauptsächlichsten Werke der ausländischen Literatur" (Eng-
land, Frankreich, Holland-Belgien, Italien). In einem nachgelassenen Notat
vom Sommer 1880, also aus der Entstehungszeit der Morgenröthe, heißt es:
„Grundsätze: es giebt in der Natur keine Zwecke, es giebt keinen Geist außer
bei Menschen und menschenartigen Wesen, es giebt keine Wunder und keine
Vorsehung, es giebt keinen Schöpfer, keinen Gesetzgeber, keine Schuld, keine
Strafe" (4[55], KSA 9, 112).
Das von N. in Anführungszeichen gesetzte Zitat am Ende von M 37 stammt
aus einem Werk, das er schon 1875 für seine persönliche Bibliothek erworben
und studiert hatte, wie auch aus diversen Lesespuren hervorgeht: Geschichte
der geistigen Entwickelung Europas (Draper 1871, 451; Nachweis: Brusotti 2001,
422).
38
45, 15 f. Die Triebe durch die moralischen Urtheile umgestaltet.]
In Μ 26 („Die Thiere und die Moral") hatte N. alles Moralische auf eine
gesellschaftlich bedingte Verfeinerung der Triebe zurückgeführt und insofern
sehen ist, dass dasselbe sich vielmehr willenlos den äusseren Umständen an-
passt und durch diese bestimmen lässt. / Das grosse speculative Verdienst der
Lehre Darwin's besteht vor Allem darin, auf die Wege oder die Weisen des
Verfahrens der Natur in der Bildung organischer Wesen überhaupt aufmerk-
sam gemacht zu haben. Denn bei näherem Zusehen hat es sich sofort herausge-
stellt, dass das Wirken der Natur bei aller Zweckmässigkeit dennoch keine be-
wusste Absicht verräth. Es läuft da so Vieles mit unter, was den vorausgesetz-
ten Zwecken direct entgegenwirkt und ihre Zwecke selbst erreicht die Natur
auf Wegen, welche kein mit Ueberlegung handelndes Wesen wählen würde"
(Spir 1877, Bd. 2, 155 f.).
Paul Ree, der sich intensiv mit Darwin befasste, und N. nahmen die zeitge-
nössische Darwin-Rezeption und die sich anschließenden Debatten auf. Zahl-
reiche Schriften und Zeitschriften informierten in den Siebziger Jahren über
Darwin und seinen Widerhall in Deutschland. Die von N. eifrig studierte Zeit-
schrift Das Ausland, die wiederholt über Darwin berichtete, bemerkt in dem
Artikel „Charles Darwin. Eine biographische Skizze" (Das Ausland 1870, 314-
320, dort 320): „In mehreren deutschen Universitäten (z. B. Jena, Bonn und
Kiel) wurde bereits der Darwinismus als besonderes Colleg Studirenden aller
Facultäten bei überfüllten Auditorien vorgetragen". In der von Robert Hart-
mann, Rees Berliner akademischem Lehrer, mitbegründeten Zeitschrift für Eth-
nologie gab J. W. Spengel im 3. Band einen Überblick über die „in Deutschland
über die Darwinische Theorie erschienenen Werke und Aufsätze" mit einem
„Verzeichnis der hauptsächlichsten Werke der ausländischen Literatur" (Eng-
land, Frankreich, Holland-Belgien, Italien). In einem nachgelassenen Notat
vom Sommer 1880, also aus der Entstehungszeit der Morgenröthe, heißt es:
„Grundsätze: es giebt in der Natur keine Zwecke, es giebt keinen Geist außer
bei Menschen und menschenartigen Wesen, es giebt keine Wunder und keine
Vorsehung, es giebt keinen Schöpfer, keinen Gesetzgeber, keine Schuld, keine
Strafe" (4[55], KSA 9, 112).
Das von N. in Anführungszeichen gesetzte Zitat am Ende von M 37 stammt
aus einem Werk, das er schon 1875 für seine persönliche Bibliothek erworben
und studiert hatte, wie auch aus diversen Lesespuren hervorgeht: Geschichte
der geistigen Entwickelung Europas (Draper 1871, 451; Nachweis: Brusotti 2001,
422).
38
45, 15 f. Die Triebe durch die moralischen Urtheile umgestaltet.]
In Μ 26 („Die Thiere und die Moral") hatte N. alles Moralische auf eine
gesellschaftlich bedingte Verfeinerung der Triebe zurückgeführt und insofern