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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0145
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130 Morgenröthe

markant der Römerbrief und die Korintherbriefe des Paulus und später vor al-
lem die Tugendlehre des Augustinus erkennen lassen. Darin ist die Hoffnung
Ausdruck des Vertrauens auf Gott und Christi Heilstat. Eine formale und neut-
rale Bestimmung gibt Platon in seiner Spätschrift Die Gesetze, indem er die
Hoffnung als „Erwartung" künftiger Dinge definiert (Nomoi I 644c) und die
Bezeichnung „Hoffnung" in diesem Verständnis „allgemein" nennt (δόξας
μελλόντων, oiv κοινόν όνομα έλπίς). Eindeutig positiv ist der Sinn des Wortes
„Hoffnung" schon in der Odyssee 16, 101: „Noch ist Hoffnung" - έτι έλπίδος
α'ισα; 19, 84. Wenn von vergeblichen Hoffnungen die Rede ist, dann setzt dies
einen grundsätzlich positiven Sinn von „Hoffnung" voraus, so in der ältesten
Tragödie des Aischylos Die Perser: „er gab sich vergeblichen Hoffnungen
hin" - κεναΐσιν έλπίσιν πεπεισμένος; im ersten Teil der Orestie, im Agamem-
non, heißt es (Agamemnon, V. 491), dass „viele Hoffnungen zerbrochen sind" -
πολλών ραγεισών έλπίδων; „habe Hoffnung" - έχ έλπίδα lautet eine Aufforde-
rung im König Ödipus des Sophokles; mehrere Autoren sprechen von der „Hoff-
nung auf Rettung" (έλπίς τής σωτηρίας), die man auf jemanden setzt; Thukydi-
des (Geschichte des Peloponnesischen Kriegs 3, 14) lässt von den „Hoffnungen
der Griechen auf euch" sprechen (al τών Έλλήνων είς ύμάς έλπίδες). Wo έλπίς
negativ besetzt ist, ist dieses Wort nicht mit „Hoffnung", sondern mit „Furcht",
„Besorgnis" zu übersetzen, z. B. im Orestes des Euripides V. 859, aber im glei-
chen Drama erscheint das Wort auch im Sinn von positiver (vertrauender) Er-
wartung (Orestes, V. 778/80, besonders V. 448).
Auch dass N. das vermeintlich „blinde und tückische" Wesen der Hoffnung
bei den Griechen mit dem Hinweis auf Hesiod zu untermauern sucht („Hesiod
hat das Stärkste über sie in einer Fabel angedeutet"; 46, 5), beruht auf einem
Missverständnis. Denn die Fabel, die er meint, die Pandora-Fabel in Hesiods
Theogonie und Werken und Tagen, erzählt davon, dass Pandora den Menschen
einen Krug voller Übel brachte: Sie hob den Deckel des Krugs, woraufhin die
zahlreichen Übel zu den Menschen hinausschwirrten. Allein die Hoffnung, die
sich zusammen mit den Übeln im Krug befand, konnte nicht heraus zu den
Menschen, weil Pandora nach dem Willen des Zeus zuvor den großen Deckel
des Krugs zufallen ließ, (μούνη δ'αύτόθι Έλπίς έν άρρήκτοισι δόμοισιν / ένδον
έμιμνε πίθου ύπό χείλεσιν, ούδέ θύραζε / έξέπτη; Werke und Tage, V. 96-98).
Demnach ist die Hoffnung nichts Negatives in Hesiods Fabel, wie N. will, viel-
mehr bleibt die Hoffnung den Menschen verwehrt, die nun allen Übeln ohne
Hoffnung (auf deren Beseitigung) ausgeliefert sind. Schon in Menschliches, All-
zumenschliches I hatte N. die Hoffnung in Hesiods Pandora-Geschichte ganz
negativ verstehen wollen: als das „übelste der Uebel, weil sie die Qual der
Menschen verlängert" (KSA 2, 82, 19 f.). Analog ist die Auffassung der Hoffnung
auch noch in der Spätschrift Der Antichrist, wo es heißt: „Gerade wegen dieser
 
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