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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0160
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Stellenkommentar Erstes Buch, KSA 3, S. 56-57 145

Sammlung streng geprüfter Thatsachen entschlagen zu können wähnten und
auf einen ,königlichen Weg zur Wahrheit' verwiesen" (60, 1-6). Vgl. NK Μ 59.

56
57, 21 Der Apostat des freien Geistes.] N. überträgt den Begriff des
Apostaten, des Abtrünnigen, von der religiösen Sphäre auf die des „freien Geis-
tes", um dann dessen „Verändern seiner Meinungen" (58, 14 f.) positiv zu
werten. Er verteidigt damit die in seinen eigenen Werken oftmals festzustellen-
de „Fähigkeit, seine Meinungen zu wechseln" (58, 16). In M 573 heißt es
„Sich häuten. - Die Schlange, welche sich nicht häuten kann, geht zu Grun-
de. Ebenso die Geister, welche man verhindert, ihre Meinung zu wechseln; sie
hören auf, Geist zu sein".
Die Wendungen (58, 19) „spernere se sperni" („verachten, selbst verachtet
zu werden") und „spernere se ipsum" („sich selbst verachten") gehen auf ein
in Goethes Italienischer Reise zitiertes Wortspiel zurück (Zweiter römischer Auf-
enthalt, Dezember 1787). In seiner dort eingefügten biographischen Skizze Phi-
lipp Neri, Der humoristische Heilige schreibt Goethe: „Der Gedanke, vor der Welt
als töricht zu erscheinen und dadurch in Gott und göttliche Dinge sich erst
recht zu versenken und zu üben, war sein andauerndes Bestreben, wodurch er
sich und sodann auch seine Schüler ausschließlich zu erziehen unternahm.
Die Maxime des heil. Bernhard:
Spernere mundum,
Spernere neminem,
Spernere se ipsum,
Spernere se sperni,
schien ihn ganz durchdrungen zu haben, ja vielmehr aus ihm frisch wieder
entwickelt zu sein." Übersetzung der von Goethe zitierten Verse: „Die Welt ver-
achten / niemand verachten / sich selbst verachten / verachten, daß man ver-
achtet wird". N. allerdings versucht, das „Spernere se ipsum" („sich selbst ver-
achten") in eine Selbst-Rechtfertigung und sogar zum Zeichen souveräner
Geisteshaltung umzudeuten.
Bereits in Menschliches, Allzumenschliches I 137, zitiert N. die Wendung
„spernere se sperni", aber in einem ganz anderen Sinn: „Dieses Zerbrechen
seiner selbst, dieser Spott über die eigene Natur, dieses spernere se sperni, aus
dem die Religionen so viel gemacht haben, ist eigentlich ein sehr hoher Grad
der Eitelkeit" (KSA 2, 131, 20-23). Diese Aussage steht im Zusammenhang einer
 
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