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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0182
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Stellenkommentar Erstes Buch, KSA 3, S. 79 167

als deren Vordenker er sich auch in anderen Texten sieht. Der skeptischen
Geisteshaltung entgegen setzt N. einen voluntaristischen und befehlshaberi-
schen Typus, den die vom „Willen zur Macht" bestimmten Philosophen der
Zukunft verkörpern sollen. Im Gegensatz zu bloßen „philosophischen Arbei-
tern" nach der Art Kants und Hegels möchte er allein sie als „eigentliche Philo-
sophen" gelten lassen: „Die eigentlichen Philosophen aber sind
Befehlende und Gesetzgeber: sie sagen ,so soll es sein!', sie bestim-
men erst das Wohin? und Wozu? des Menschen und verfügen dabei über die
Vorarbeit aller philosophischen Arbeiter [...] Ihr ,Erkennen' ist Schaffen, ihr
Schaffen ist eine Gesetzgebung, ihr Wille zur Wahrheit ist - Wille zur
Macht" (JGB 211, KSA 5, 145, 7-16).

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79, 2 Arme Menschheit!] Zur physiologischen Reduktion ,moralischer'
und metaphysischer Annahmen, wie hier „Teufel" und „Sünde", vgl. den Kom-
mentar S. 54-56 sowie besonders M 86.

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79, 9 Die Philologie des Christenthums.] N. kritisiert hier die schon
im Neuen Testament angelegte und später weitergetriebene typologische Be-
trachtungsweise, der zufolge wesentliche Züge des Neuen Testaments bereits
im Alten Testament vorgebildet sind. Grund für dieses Verfahren war der Ver-
such, das noch junge Christentum zumindest im jüdischen Bereich durch Be-
rufung auf wichtige Zeugnisse des Alten Testaments zu legitimieren und das
Evangelium als Erfüllung der Verheißungen des Alten Testaments sowie umge-
kehrt das Alte Testament als Vorausdeutung auf das Neue Testament darzustel-
len. Das bekannteste Beispiel ist das Weihnachtsevangelium, das als Erfüllung
der beim Propheten Jesaja stehenden Verheißung des Messias (Jesaja 9, 5) ver-
standen wurde. Solche legitimierenden Rückberufungen auf das Alte Testa-
ment finden im Neuen Testament häufig Ausdruck in der stereotypen Formel
„wie geschrieben steht". N. verdächtigt diese Wendung in der Argumentations-
praxis der Theologen als Rechthaberei: ,„ich habe Recht, denn es steht ge-
schrieben'" (79, 15 f.). Die Ausführungen, denen zufolge man bereits im frühen
Christentum ein „unerhörtes philologisches Possenspiel um das alte Testament
aufgeführt" habe, indem man versuchte, „das alte Testament den Juden unter
dem Leibe wegzuziehen" (79, 28-30) und „den Christen als dem wahren Vol-
ke Israel" zuzueignen (79, 31), beruhen auf der Darstellung bei Moritz von En-
 
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