178 Morgenröthe
quenten, dessen man nicht habhaft werden konnte, wobei stellvertretend sein
Bildnis gehängt oder verbrannt wurde.
95
86, 23 f. Die historische Widerlegung als die endgültige.] Zur his-
torischen Widerlegung im Kontext von N.s Wendung zu einer historisierenden
Methode vgl. den Kommentar zu 19,3; 19,10; 19,16. Die in diesem Text erwähn-
ten „,Beweise vom Dasein Gottes'" (87, 1) sind der teleologische, der kosmologi-
sche und der ontologische. Der teleologische Gottesbeweis geht vom Gedanken
der Zweckmäßigkeit aus. Er schließt von einer zweckmäßig eingerichteten Na-
tur auf einen göttlichen Ordnungsgeist. Platon, Aristoteles und die Stoa ken-
nen diese Form des Gottesbeweises. Die Physikotheologie des 18. Jahrhunderts
reaktiviert und modernisiert den teleologischen Gottesbeweis. Sie sieht die
Zweckmäßigkeit teils im zweckmäßigen Zusammenstimmen der Teile des Welt-
mechanismus zum harmonischen Ganzen, teils im zweckmäßigen Funktionie-
ren organischen Lebens, teils in der Nützlichkeit der Naturordnung für den
Menschen. Der kosmologische Gottesbeweis schließt von der Existenz der Welt
auf einen ersten Urheber, von dem Bewegten auf einen ersten Beweger. Diese
Beweisführung vertreten vor allem Aristoteles, Thomas von Aquin, Wilhelm
von Ockham, Moses Maimonides und Leibniz. Der ontologische Gottesbeweis
schließt vom Begriff eines allerrealsten Wesens (ens realissimum) auf dessen
Existenz. Kant führte alle Gottesbeweise auf den ontologischen zurück, um die-
sen als Fehlschluss zu widerlegen.
Der spezifisch neuzeitliche deontologische Gottesbeweis ist moralisch: Er
beruft sich auf die unbedingte Verpflichtung durch das Gewissen und schließt
auf einen göttlichen Urheber der sittlichen Norm. Kant nimmt Züge des deonto-
logisch-moralischen Gottesbeweises auf („das moralische Gesetz in mir") und
überführt sie aus der Operation des unmöglichen theoretischen Beweisens in
den Status praktischer Postulate: Die Vorstellung von einem personalen Gott
ist eine für die - vorab moralisch definierte - praktische Vernunft notwendige
Annahme. Sie dient der Legitimation und Sicherung moralischer Willensbe-
stimmung. Für N. wichtig war das Werk seines Freundes Paul Ree: Die Entste-
hung des Gewissens. Es erschien zwar erst 1885, aber N. kannte es im Wesentli-
chen schon vorher. Bereits auf einer Postkarte vom 15. Juni 1879 schreibt er an
Franz Overbeck vom „Capital-Entwurf seiner [Rees] Historie des Gewissens"
(KSB 5/KGB II/5, Nr. 857). Das 1. Buch behandelt das Thema: „Das Gewissen
ein Produkt der Geschichte", das 2. Buch „Die Entstehung der Strafe" - ein für
N. ebenfalls zentrales Sujet in der Morgenröthe.
quenten, dessen man nicht habhaft werden konnte, wobei stellvertretend sein
Bildnis gehängt oder verbrannt wurde.
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86, 23 f. Die historische Widerlegung als die endgültige.] Zur his-
torischen Widerlegung im Kontext von N.s Wendung zu einer historisierenden
Methode vgl. den Kommentar zu 19,3; 19,10; 19,16. Die in diesem Text erwähn-
ten „,Beweise vom Dasein Gottes'" (87, 1) sind der teleologische, der kosmologi-
sche und der ontologische. Der teleologische Gottesbeweis geht vom Gedanken
der Zweckmäßigkeit aus. Er schließt von einer zweckmäßig eingerichteten Na-
tur auf einen göttlichen Ordnungsgeist. Platon, Aristoteles und die Stoa ken-
nen diese Form des Gottesbeweises. Die Physikotheologie des 18. Jahrhunderts
reaktiviert und modernisiert den teleologischen Gottesbeweis. Sie sieht die
Zweckmäßigkeit teils im zweckmäßigen Zusammenstimmen der Teile des Welt-
mechanismus zum harmonischen Ganzen, teils im zweckmäßigen Funktionie-
ren organischen Lebens, teils in der Nützlichkeit der Naturordnung für den
Menschen. Der kosmologische Gottesbeweis schließt von der Existenz der Welt
auf einen ersten Urheber, von dem Bewegten auf einen ersten Beweger. Diese
Beweisführung vertreten vor allem Aristoteles, Thomas von Aquin, Wilhelm
von Ockham, Moses Maimonides und Leibniz. Der ontologische Gottesbeweis
schließt vom Begriff eines allerrealsten Wesens (ens realissimum) auf dessen
Existenz. Kant führte alle Gottesbeweise auf den ontologischen zurück, um die-
sen als Fehlschluss zu widerlegen.
Der spezifisch neuzeitliche deontologische Gottesbeweis ist moralisch: Er
beruft sich auf die unbedingte Verpflichtung durch das Gewissen und schließt
auf einen göttlichen Urheber der sittlichen Norm. Kant nimmt Züge des deonto-
logisch-moralischen Gottesbeweises auf („das moralische Gesetz in mir") und
überführt sie aus der Operation des unmöglichen theoretischen Beweisens in
den Status praktischer Postulate: Die Vorstellung von einem personalen Gott
ist eine für die - vorab moralisch definierte - praktische Vernunft notwendige
Annahme. Sie dient der Legitimation und Sicherung moralischer Willensbe-
stimmung. Für N. wichtig war das Werk seines Freundes Paul Ree: Die Entste-
hung des Gewissens. Es erschien zwar erst 1885, aber N. kannte es im Wesentli-
chen schon vorher. Bereits auf einer Postkarte vom 15. Juni 1879 schreibt er an
Franz Overbeck vom „Capital-Entwurf seiner [Rees] Historie des Gewissens"
(KSB 5/KGB II/5, Nr. 857). Das 1. Buch behandelt das Thema: „Das Gewissen
ein Produkt der Geschichte", das 2. Buch „Die Entstehung der Strafe" - ein für
N. ebenfalls zentrales Sujet in der Morgenröthe.