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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0196
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Stellenkommentar Zweites Buch, KSA 3, S. 89-90 181

Vorurtheile" entlarvt, sondern die Moral überhaupt als vorurteilshaft diskredi-
tiert. Das „fortwährende Umwandeln" der Moral ist auch ein Umwerten, das
N. später zu seinem Konzept einer „Umwerthung aller Werthe" systematisiert.
Indem der Prozess der Umwertung von einer Entwertung der geltenden Werte
und Wertschätzungen ausgeht, schafft er die Voraussetzung für neue Wertvor-
stellungen. Daher ist abschließend von den „Neuerungen des moralischen
Denkens" (89, 13) die Rede. Dass sie zu den „Verbrechen mit glückli-
chem Ausgange" (89, 12) gerechnet werden, ist aus der historischen Per-
spektive zu verstehen: Als „Verbrechen" erscheinen sie insofern, als sie mit den
bisherigen Moralvorstellungen brechen.
99
89, 15 Worin wir Alle unvernünftig sind.] Auch hier knüpft N. an eine
schon im Ersten Buch mehrmals formulierte Einsicht an: dass in den subjekti-
ven Gefühlen die alten Wertungen noch fortwirken, obwohl sie rational nicht
mehr akzeptiert werden.
100
89, 20 Vom Traume erwachen.] Dass sich die Vorstellung des Träumens
(von einer „sittlichen Bedeutung des Daseins") mit der Vorstellung einer „Mu-
sik der Sphären" (89, 21) verbindet, weist zurück auf die berühmte und in der
Tradition wirkungsreichste Darstellung der Sphärenharmonie: auf den „Traum
des Scipio" (Somnium Scipionis) am Ende von Ciceros Schrift Vom Staat (De re
publica). Hierzu und zum Traditionszusammenhang M 4 und der ausführliche
Kommentar.
101
90, 6 Bedenklich.] Schon in M 9 führt N. die Moral, die „Sittlichkeit", auf
konventionalisierte „Sitten" und auf das „Herkommen" zurück. Hier stellt er
den „Glauben" in die Perspektive einer bloßen Anpassung an die zur ,Moral'
verfestigte Konvention. Diese Anpassung diagnostiziert N. bereits in M 38 als
„Feigheit" (45, 17).
102
90, 11 Die ältesten moralischen Urtheile.] Zentral ist die rhetorische
Frage „Ist nicht der Ursprung aller Moral in den abscheulichen kleinen
 
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