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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0204
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Stellenkommentar Zweites Buch, KSA 3, S. 95-96 189

N. setzt die Reflexionen zum Individuum, zum „Ich", zum „Selbst" und
zum „Eigenen" im Zarathustra fort. In Zarathustra III: ,Von den drei Bösen 2‘ -
gemeint sind „Wollust, Herrschsucht, Selbstsucht" (KSA 4, 236,
20) -, revidiert er deren Wertung durch die traditionelle Moral als „böse", um
sie im Sinne seiner Lebensphilosophie umzuwerten. Von Zarathustra heißt es,
dass „sein Wort die Selbstsucht selig pries, die heile, gesunde Selbstsucht,
die aus mächtiger Seele quillt" (KSA 4, 238, 24-26). In der Morgenröthe setzt er
sich mit Pascals Ausspruch „le moi est haissable" und mit dessen Ablehnung
des „amour propre" und des „amour de soi" auseinander; nun im Zarathustra
stellt er diese Position in die Perspektive weltmüder Dekadenz, die bloß Ich-
Schwäche verrät: „Und Das gerade sollte Tugend sein und Tugend heissen,
dass man der Selbstsucht übel mitspiele! Und ,selbstlos' - so wünschten sich
selber mit gutem Grunde alle diese weltmüden Feiglinge und Kreuzspinnen
[d.h. die der christlichen Kreuzes-Moral Ergebenen]" (KSA 4, 239, 34-240, 3).
Nach dem schon in der Morgenröthe pointierten „Eigenen", dem „Ego", das
ganz es „selbst" ist, fragt er in Zarathustra I: ,Vom Wege des Schaffenden':
„welches ist der Weg zu dir selber?" (KSA 4, 80, 14 f.); den schon zur Genie-
Ideologie des 18. Jahrhunderts gehörenden Gedanken originaler, schöpferi-
scher Autonomie adaptierend, fügt er die herausfordernde Frage an: „Bist du
eine neue Kraft und ein neues Recht? Eine erste Bewegung? Ein aus sich rollen-
des Rad?" (KSA 4, 80, 16 f.) Sodann überträgt er den Gedanken genialer Auto-
nomie in den Bereich der ,moralischen' Wertungen: „Kannst du dir selber dein
[!] Böses und dein [!] Gutes geben und deinen [!] Willen über dich aufhängen
wie ein Gesetz? Kannst du dir selber [!] Richter sein und Rächer deines [!] Ge-
setzes?" (KSA 4, 81, 8-10) Der Zweifel allerdings, der in solchen paradox impe-
rativischen Fragen mitschwingt, findet in mehreren Reflexionen Ausdruck, die
das Problem der Selbstverfallenheit aufwerfen. Der Zwerg, der Zarathustra in
dem Kapitel ,Vom Gesicht und Räthsel' anficht, tut dies mit den Worten: „Ver-
urtheilt zu dir selber und zur eignen Steinigung: oh Zarathustra, weit warfst
du ja den Stein - aber auf dich wird er zurückfallen!" (KSA 4, 198, 22-24) Bald
darauf heißt es: „im eignen Safte kochte Zarathustra" (KSA 4, 205, 9 f.) Schon
in Zarathustra I: ,Vom Wege des Schaffenden', verbindet sich das autistische
Syndrom mit dem Leiden an der „Vereinsamung", am „Alleinsein", an der „Ein-
samkeit", dem auch zahlreiche Texte in der Morgenröthe gelten, aber noch em-
phatisch positiv, während die Briefe, besonders diejenigen an Overbeck, eine
andere Sprache sprechen.

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96, 25 f. Selbst-Beherrschung und Mässigung und ihr letztes
Motiv.] N. zitiert Lord Byron in 97, 30-32 („,Ich will nicht der Sclave irgend
 
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