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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0228
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Stellenkommentar Zweites Buch, KSA 3, S. 123 213

ringeres, als was einer seiner Lieblingsschriftsteller, Thomas a Kempis zu Gott
sagt: ,Amern te plus quam me, nec me nisi propter te‘ [Ich möchte dich mehr
lieben als mich, und mich nur wegen dir]. Alle Erziehung und alle sittliche
Zucht sollen nur den Einen Zweck haben, dem Altruismus (ein Wort seiner
Erfindung) über den Egoismus zum Sieg zu verhelfen" (Mill 1874a, 98).
Der Hinweis auf Schopenhauers Begründung der Moral durch das Mitleid
bezieht sich auf viele einschlägige Stellen in Schopenhauers Werk. Hervorzu-
heben sind die Paragraphen 18 und 19 seiner Preisschrift über die Grundlage
der Moral. Darin begründet er die „Wahrheit, daß das Mitleid, als die einzige
nicht egoistische, auch die alleinige ächt moralische Triebfeder sei", und nach
diesem einleitenden Satz des § 19 fährt er fort: „[...] Mitleid mit allen lebenden
Wesen ist der festeste und sicherste Bürge für das sittliche Wohlverhalten und
bedarf keiner Kasuistik. Wer davon erfüllt ist, wird zuverlässig Keinen verlet-
zen, Keinem wehe thun [...] und alle seine Handlungen werden das Gepräge
der Gerechtigkeit und Menschenliebe tragen" (Schopenhauer 1874, Bd. 4, Teil
2, 236).
Obwohl Schopenhauer von Rousseaus Begründung der Moral durch das
Mitleid ausgeht, bezieht N. Rousseau hier und auch in den folgenden Texten
nicht in seine Darstellung ein. Dieser hatte in seinem epochemachenden Dis-
cours sur l'Origine de l'Inegalite parmi les Hommes geschrieben: „Je ne crois
pas avoir aucune contradiction ä craindre, en accordant ä l'homme la seule
vertu naturelle qu'ait ete force de reconnaitre le detracteur le plus outre des
vertus humaines. Je parle de la pitie [...] vertu d'autant plus universelle et d'au-
tant plus utile ä l'homme, qu'elle precede en lui l'usage de toute reflexion
[es folgen Beispiele]. Tel est le pur mouvement de la nature, anterieur ä toute
reflexion; teile est la force de la pitie naturelle, que les moeurs les plus depra-
vees ont encore peine ä detruire [...] en effet, qu'est ce que la generosite, la
clemence, l'humanite, sinon la pitie appliquee aux faibles, aux coupables, ou
ä l'espece humaine en general? [...] Il est donc bien certain que la pitie est un
sentiment naturel, qui, moderant dans chaque individu l'activite de l'amour
de soi-meme, concourt ä la conservation mutuelle de toute l'espece. C'est elle
qui nous porte sans reflexion au secours de ceux que nous voyons souffrir"
(„Ich glaube keinen Widerspruch fürchten zu müssen, wenn ich dem Men-
schen die einzige natürliche Tugend zuspreche, die der übertriebenste Ver-
leumder der menschlichen Tugenden [gemeint ist Mandevilles The Fable of the
Bees] anzuerkennen gezwungen ist. Ich spreche vom Mitleid [...] es ist eine
Tugend, die unter den Menschen umso verbreiteter und umso nützlicher ist,
als sie bei ihnen dem Gebrauch jeglicher Reflexion vorhergeht"; Rousseau 1971,
170 f.). Nach der Demonstration an Beispielen fährt Rousseau fort: „So beschaf-
fen ist die reine, jeder Reflexion vorausliegende Regung der Natur. So ist die
 
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