Metadaten

Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0266
License: In Copyright

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Stellenkommentar Drittes Buch, KSA 3, S. 152 251

für Kunst und Kultur der Griechen ins allgemeine Bewusstsein. Stendhal, der
sein Pseudonym nach dem gleichnamigen Geburtsort Winckelmanns gewählt
hatte, schrieb in seiner Darstellung Rome, Naples et Florence (1854), die N. in
seiner persönlichen Bibliothek besaß - N. strich sich diesen Passus an -: „Le
plaisant, c'est que nous pretendons avoir le goüt grec dans les arts, manquant
de la passion principale qui rendait les Grecs sensibles aux arts" (Stendhal
1854b, 333 - „Das Spaßige ist, dass wir behaupten, den griechischen Ge-
schmack in den Künsten zu haben [Stendhal schrieb dies unter dem Eindruck
des zeitgenössischen Klassizismus] und dabei die Hauptleidenschaft uns fehl-
te, welche die Griechen für die Künste sensibel machte").

171
152, 20 Die Ernährung des modernen Menschen.] Immer wieder
misst N., auch aufgrund seiner eigenen gesundheitlichen Gefährdungen, der
Diätetik, insbesondere der Ernährung große Bedeutung bei, z. B. in Μ 188 und
Μ 203. Hier nennt er den modernen Menschen im übertragenen Sinn einen
,Allesfresser' („homo pamphagus"; 152, 23), der „fast Alles zu verdauen" (152,
21) versteht. Damit nimmt N. eine Zeitdiagnose auf, die er schon in der Geburt
der Tragödie und in der zweiten der Unzeitgemäßen Betrachtungen: Vom Nutzen
und Nachtheil der Historie für das Leben gestellt hatte. „Nur dadurch", schreibt
er aus dem zeittypischen Bewusstsein einer epigonalen Zivilisation, „dass wir
uns mit fremden Zeiten, Sitten, Künsten, Philosophien, Religionen, Erkenntnis-
sen anfüllen und überfüllen, werden wir zu etwas Beachtungswerthem, näm-
lich zu wandelnden Encyclopädien" (KSA 1, 273, 34-274, 4).

172
152, 29 Tragödie und Musik.] Hier setzt N. die schon in mehreren der
vorigen Texte unternommene psychologische Stereotypisierung und Reduktion
historischer Gegebenheiten fort. In M 169 hatte er „unsere Seelen" und „unsere
Seelen-Art", in M 170 die andere „Seele" der Griechen in die „Perspektive
des Gefühles" (152, 12) gestellt. Nunmehr spricht er vom „Gemüth": von
„Männer[n] in einer kriegerischen Grundverfassung des Gemüths, wie zum Bei-
spiel die Griechen in der Zeit des Äschylus" (152, 29-153, 1). Eine solche
„Grundverfassung des Gemüths" in der Zeit des Aischylos ist nirgends bezeugt,
vielmehr sahen sich die Griechen aufgrund der persischen Bedrohung mit der
Notwendigkeit eines Kampfes konfrontiert, in dem es um die Verteidigung ihrer
Heimat und ihres Lebens ging. Aischylos selbst kämpfte als junger Mann in
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften