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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0285
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270 Morgenröthe

resultierenden Machtmissbrauch zu Felde zog - in Nathan der Weise ruft der
Patriarch des Jerusalemer Klosters wiederholt „Der Jude wird verbrannt". Trotz
dieser antiklerikalen Tendenz Lessings und trotz der großen englischen Aufklä-
rung, die schon früher begonnen hatte, behauptet N. im letzten Satz, außer-
halb Frankreichs hätten sich die „Freigeister anderer Völker" nur „mit Dogmen
und erhabenen Missgeburten" beschäftigt (166, 23 f.).

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166, 26 Esprit und Moral.] Hier kommt es wieder zu einer von N.s stereo-
typisierenden Generalisierungen, indem er von Hegels „eigenthümlichen
schlechten Stil" (167, 2) pauschal auf die „Deutschen" und vor allem auf die
„berühmten Deutschen" schließt - nach bereits mehreren Generationen gro-
ßer, auch mit „esprit" und gutem „Stil" schreibender Autoren, von Lessing,
Goethe und Schiller über Kleist, E. T. Α. Hoffmann bis zu Heine, von dem N.
selbst sich gerne inspirieren ließ, ja bis in seine Gegenwart. Den Begriff „es-
prit", der eine elegante, geistreich kombinierende und pointierende Formulie-
rungskunst meint, verwendet N. in mehrdeutiger Weise: Einmal spricht er vom
französischen esprit, dann aber schreibt er dem wegen seines schwerfällig
komplizierten Stils kritisierten Hegel ebenfalls „esprit" zu - „von den berühm-
ten Deutschen", schreibt er, „hat vielleicht Niemand mehr esprit gehabt, als
Hegel" (166, 31-167, 1). Die sich daraus ergebende Schwierigkeit versucht N.
zu bewältigen, indem er Hegel psychologisierend eine „so grosse deutsche
Angst" (167, If.) vor dem esprit zuschreibt, dass eigentlich nicht Hegel selbst,
sondern diese angebliche deutsche „Angst" seinen schlechten Stil „geschaffen
hat"!
Diese „Angst" - damit kommt N. zum Leitthema „Esprit und Moral" -
führt er spekulativ auf einen Gegensatz von „Esprit" und „Moral" zurück. Um
seine Charakterisierung Hegels als eines mit „esprit" ausgestatteten, gleich-
wohl ohne esprit schreibenden Philosophen plausibel zu machen, unterschei-
det N. einen „Kern" Hegels, der aus manchem „witzigen [= esprit], oft vorlau-
ten Einfall" bestehe (167, 8), von dem dann bloß noch als Schale aufzufassen-
den schlechten, weil ohne esprit bleibenden Stil. Wie daraus eine „höchst
moralische Langeweile" (167, 12 f.) entsteht, soll sich aus der Präsupposition
erschließen, der zufolge die Deutschen und so auch Hegel „die Langeweile als
moralisch [...] empfinden" (166, 28 f.). Mit der anschließenden Feststellung „Da
hatten die Deutschen eine ihnen erlaubte Form des esprit" (167, 13 f.) ver-
strickt sich N., einmal abgesehen von seiner Unterstellung des bloß Erlaubten,
noch weiter in Widersprüche, denn die „Form" ist der Stil, der bei Hegel den
 
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