Stellenkommentar Drittes Buch, KSA 3, S. 173 279
Thema der Morgenröthe die „moralischen Vorurtheile" traktiert, moralisiert er
hier selbst: Er preist die „Tugenden" (173, 12 f.), die „vornehm" und „adelig"
seien. Da die „alten Gegenstände", auf die das adlige Leben einst bezogen war,
keine „Achtung" mehr erfahren, fordert er, „diesem unserem köstlichen Erb-
triebe", nämlich einer adligen „Gesinnung", „neue Gegenstände" „un-
ter[zu]schieben", ohne allerdings zu sagen, welche Gegenstände er dabei im
Sinn hat. Anstelle der ererbten Besitztümer und Privilegien, die dem Adel frü-
her zukamen, möchte er an anderem Ererbtem festhalten. Er spricht von „ver-
erbter ritterlicher Abenteuerlichkeit und Opferlust" (173, 31 f.) Als einziges Bei-
spiel der angeblich ererbten Abenteuerlichkeit und Opferlust weiß er für die
Gegenwart das „Duell" (174, 2) zu nennen, das damals bereits als Inbegriff
überholter und sinnloser Ehrvorstellungen galt. Die berühmteste literarische
Darstellung des auf einen obsoleten Ehrenkodex fixierten Duell-Brauchs aus
dieser Zeit ist Fontanes Roman Effi Briest. Schon Schopenhauer hatte dieses
Duellwesen samt dem fragwürdigen Ehrbegriff in seinen Maximen zur Lebens-
weisheit, Kapitel IV: „Von dem, was einer vorstellt" kritisch aufs Korn genom-
men (PP I, Schopenhauer 1874, Bd. 5, 373-429).
Vollends fragwürdig ist der anschließende Versuch, die angeblich aus „un-
serem" (173, 14) Erbtrieb zu erklärende quasi-adlige Vornehmheit der Gesin-
nung mit der angeblich nicht so hoch stehenden „Gesinnung" der „vornehmen
Griechen" zu kontrastieren. Homer, an den N. zunächst erinnert, schuf seine
Epen im 8. Jahrhundert v. Chr. für eine adlige Gesellschaft, an deren Adelssit-
zen sie vorgetragen wurden. Er gestaltet in der Ilias mit archaisierender und
monumentalisierender Absicht ein vergangenes Heldenzeitalter. Der trojani-
sche Krieg lag schon ein halbes Jahrtausend zurück. Dieses älteste Werk der
europäischen Literatur hat seinen Schwerpunkt in der Darstellung heroischer
Kämpfe und tragischer Schicksale, wie sie in Heldensagen und Heldenliedern
seit alter Zeit fortlebten. In der Odyssee werden die Griechen als Seefahrervolk
in einer bunten Fülle von Abenteuern lebendig, die Odysseus nach dem Ende
des trojanischen Kriegs auf seinen Irrfahrten über das Meer erlebt. Die Odyssee
ist eine von einer ganzen Anzahl von Heimkehrergeschichten, die sich an die
Sage vom trojanischen Krieg anschlossen und eine eigene Spezies von Erzäh-
lungen ausmachten, die sogenannten Nostoi. Sie boten die Gelegenheit, vielfäl-
tige Abenteuer märchenhaft auszugestalten. Die Odyssee bietet Ungeheuer,
Nymphen, Zauberer, Riesen und exotische Wesen ebenso auf wie ein ganzes
gesellschaftliches Spektrum von Insel-Königen bis zu Hirten und Dienerinnen.
Wenn die Sehnsucht nach der Heimat und den Seinen für Odysseus der ge-
fühlshafte Kompass durch alle Abenteuer ist, so sind neben körperlicher Stär-
ke, wie sie für einen homerischen Helden selbstverständlich ist, List, Ausdauer
und Selbstbeherrschung, nicht zuletzt die zähe Fähigkeit, vieles zu erdulden,
Thema der Morgenröthe die „moralischen Vorurtheile" traktiert, moralisiert er
hier selbst: Er preist die „Tugenden" (173, 12 f.), die „vornehm" und „adelig"
seien. Da die „alten Gegenstände", auf die das adlige Leben einst bezogen war,
keine „Achtung" mehr erfahren, fordert er, „diesem unserem köstlichen Erb-
triebe", nämlich einer adligen „Gesinnung", „neue Gegenstände" „un-
ter[zu]schieben", ohne allerdings zu sagen, welche Gegenstände er dabei im
Sinn hat. Anstelle der ererbten Besitztümer und Privilegien, die dem Adel frü-
her zukamen, möchte er an anderem Ererbtem festhalten. Er spricht von „ver-
erbter ritterlicher Abenteuerlichkeit und Opferlust" (173, 31 f.) Als einziges Bei-
spiel der angeblich ererbten Abenteuerlichkeit und Opferlust weiß er für die
Gegenwart das „Duell" (174, 2) zu nennen, das damals bereits als Inbegriff
überholter und sinnloser Ehrvorstellungen galt. Die berühmteste literarische
Darstellung des auf einen obsoleten Ehrenkodex fixierten Duell-Brauchs aus
dieser Zeit ist Fontanes Roman Effi Briest. Schon Schopenhauer hatte dieses
Duellwesen samt dem fragwürdigen Ehrbegriff in seinen Maximen zur Lebens-
weisheit, Kapitel IV: „Von dem, was einer vorstellt" kritisch aufs Korn genom-
men (PP I, Schopenhauer 1874, Bd. 5, 373-429).
Vollends fragwürdig ist der anschließende Versuch, die angeblich aus „un-
serem" (173, 14) Erbtrieb zu erklärende quasi-adlige Vornehmheit der Gesin-
nung mit der angeblich nicht so hoch stehenden „Gesinnung" der „vornehmen
Griechen" zu kontrastieren. Homer, an den N. zunächst erinnert, schuf seine
Epen im 8. Jahrhundert v. Chr. für eine adlige Gesellschaft, an deren Adelssit-
zen sie vorgetragen wurden. Er gestaltet in der Ilias mit archaisierender und
monumentalisierender Absicht ein vergangenes Heldenzeitalter. Der trojani-
sche Krieg lag schon ein halbes Jahrtausend zurück. Dieses älteste Werk der
europäischen Literatur hat seinen Schwerpunkt in der Darstellung heroischer
Kämpfe und tragischer Schicksale, wie sie in Heldensagen und Heldenliedern
seit alter Zeit fortlebten. In der Odyssee werden die Griechen als Seefahrervolk
in einer bunten Fülle von Abenteuern lebendig, die Odysseus nach dem Ende
des trojanischen Kriegs auf seinen Irrfahrten über das Meer erlebt. Die Odyssee
ist eine von einer ganzen Anzahl von Heimkehrergeschichten, die sich an die
Sage vom trojanischen Krieg anschlossen und eine eigene Spezies von Erzäh-
lungen ausmachten, die sogenannten Nostoi. Sie boten die Gelegenheit, vielfäl-
tige Abenteuer märchenhaft auszugestalten. Die Odyssee bietet Ungeheuer,
Nymphen, Zauberer, Riesen und exotische Wesen ebenso auf wie ein ganzes
gesellschaftliches Spektrum von Insel-Königen bis zu Hirten und Dienerinnen.
Wenn die Sehnsucht nach der Heimat und den Seinen für Odysseus der ge-
fühlshafte Kompass durch alle Abenteuer ist, so sind neben körperlicher Stär-
ke, wie sie für einen homerischen Helden selbstverständlich ist, List, Ausdauer
und Selbstbeherrschung, nicht zuletzt die zähe Fähigkeit, vieles zu erdulden,