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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0367
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352 Morgenröthe

und fortfahrend in der Morgenröthe (vgl. Μ 33) wendet er sich in seiner mittle-
ren Phase' dann desillusionierend dagegen. Schon in der Überschrift („sich [...]
heben") und in dem Passus „erhabene und zornige Gebärden" (244, 10) zeich-
net sich diese kritische Gegenwendung erneut ab. Dass von „Gebärden" die
Rede ist, verrät vollends eine Wagner-Assoziation, denn Wagner kultivierte ge-
radezu programmatisch das „Erhabene" und die pathosgeladene „Gebärde" -
beides hatte N. in der Geburt der Tragödie mit ausdrücklichem Wagner-Bezug
adaptiert und später in seine Distanzierung von Wagner einbezogen (hierzu
der Überblickskommentar zu GT). Auch das von N. gelegentlich kritisierte ty-
rannische Wesen Wagners spielt herein (244, 8: „anherrschen und vergewalti-
gen"), doch macht N. moralistisch typisierend daraus eine allgemeinere Dia-
gnose. Allerdings bleibt er trotz dieser kritischen Distanzierung auf das Ideal
des Erhabenen an anderen Stellen bezogen. Vgl. Μ 574 und Μ 575 sowie die
Kommentare.
370
244, 17 Inwiefern der Denker seinen Feind liebt.] Mit der Formulie-
rung „seinen Feind lieben" evoziert N. als Subtext Matthäus 5, 44: „Liebet eure
Feinde". In mehreren Texten vertritt N. diesen ins Philosophische gewendeten
Gedanken, markant in M 431, vgl. auch M 297. In M 449 adaptiert er Marc Aurel,
indem er formuliert: „Wie ich mich jeder Stimmung und heimlichen Umkehr
in mir freue, bei der die Gedanken Anderer gegen die eigenen zu Rechte
kommen!" (271, 25-27; vgl. NK M 449) Performativ übernimmt er diese Einstel-
lung, indem er in einer ganzen Reihe von Texten der Morgenröthe eine dialogi-
sche Situation inszeniert, in der eine These auf eine Antithese trifft.
371
244, 26 Das Böse der Stärke.] Johann Julius Baumann unterscheidet in
seinem von N. benutzten Handbuch der Moral zwischen einem „Bösen der
Schwäche" und einem „Bösen der Stärke". Beide Formen des in der morali-
schen Wertung als böse Erscheinenden führt er auf physiologische Gründe zu-
rück, S. 334-338 (Hinweis: Brusotti 1997, 71 f.).
372
245, 10 Zur Ehre der Kenner.] Hier kommt die aufklärerische Vorurteils-
kritik zum Tragen, indem Urteile, die aus Emotionen statt aus Kennerschaft
und Argumenten resultieren, als Vorurteile kritisiert werden.
 
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