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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0402
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Stellenkommentar Fünftes Buch, KSA 3, S. 275 387

Verfahren, das gerade eine solche „Redlichkeit" zum Ziele hat: die Methode
des systematisch betriebenen Rechenschaftgebens (λόγον διδόναι) und der
Überprüfung (έλεγχος) aller Gründe und Gegengründe.
Die „Redlichkeit" ist N.s Thema schon in Μ 370 und später noch in Μ 556,
wo er sie unter seine von ihm gegen die Tradition statuierten „vier Cardinaltu-
genden" zählt. In Jenseits von Gut und Böse (Siebentes Hauptstück: unsere Tu-
genden, JGB 227) traktiert er die „Redlichkeit" leitmotivisch. Er beginnt mit der
hypothetischen Erklärung „Redlichkeit, gesetzt, dass dies unsre Tugend ist,
von der wir nicht loskönnen, wir freien Geister", bekennt sich dann aber im
weiteren Verlauf zum „feinsten verkapptesten geistigsten Willen zur Macht und
Welt-Überwindung, der begehrlich um alle Reiche der Zukunft schweift und
schwärmt" (KSA 5, 162, 32-163, 2) und möchte am Schluss vermeiden, dass
Redlichkeit zu „Dummheit" und zur Langeweile führt. Der 4. Teil des Zara-
thustra betont immer wieder die „Redlichkeit" Zarathustras im Hinblick auf
die ihm als Projektionsfigur N.s zugeschriebene freigeisterische Aufhebung der
moralischen Vorurteile. Im Kontrast zu Anderen, die als „Falschmünzer" be-
zeichnet werden, weil sie mit ihrer ,Moral' und ihren moralischen Wertungen
die Wahrheit verdrängen, erscheint er als der aus radikaler intellektueller
Wahrhaftigkeit allein „redliche" Ausnahmemensch. Im Zarathustra-Kapitel
,Der Zauberer 2‘ sagt der Zauberer zu Zarathustra und meint diesen selbst mit
seinen Worten: „Oh Zarathustra, ich suche einen Ächten, Rechten, Einfachen,
Eindeutigen, einen Menschen aller Redlichkeit, ein Gefäss der Weisheit, einen
Heiligen der Erkenntniss, einen grossen Menschen!" (KSA 4, 319, 27-30). Mit
der Redlichkeit bringt N. auch die schon hier hervorgehobene Eindeutigkeit
und die Reinlichkeit in Zusammenhang. In Zarathustra IV: ,Äusser Dienst' sagt
Zarathustra zum „alten Papst", der nunmehr zur Sphäre obsoleter Religiosität
und insofern zu denjenigen gehört, die „äusser Dienst" sind: „Ich liebe Alles,
was hell blickt und redlich redet. Aber er [gemeint ist der alte Gott in der bibli-
schen Überlieferung] - du weisst es ja, du alter Priester, es war Etwas von
deiner Art an ihm, von Priester-Art - er war vieldeutig. / Er war auch undeut-
lich. Was hat er uns darob gezürnt, dieser Zornschnauber [eine Anspielung
auf den im Alten Testament wichtigen ,Zorn Gottes'], dass wir ihn schlecht
verstünden! Aber warum sprach er nicht reinlicher?" (KSA 4, 324, 21-26) Damit
greift N. nochmals auf M 91 zurück, die unter dem Thema „Die Redlichkeit
Gottes" steht. Der alte Papst antwortet: „Ist es nicht deine Frömmigkeit selber,
die dich nicht mehr an einen Gott glauben lässt? Und deine übergrosse Red-
lichkeit wird dich auch noch jenseits von Gut und Böse wegführen!" (KSA 4,
325, 8-10) Schließlich, nach einem Angriff auf die „feinen Falschmünzer und
Schauspieler", die am Ende selber an ihre „Aushänge-Tugenden" glauben, er-
klärt Zarathustra: „Habt da eine gute Vorsicht, ihr höheren Menschen! Nichts
 
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