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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0406
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Stellenkommentar Fünftes Buch, KSA 3, S. 278-280 391

weislich mit aller Kraft zu organisieren versuchte (in nachgelassenen Notaten
nahm er dafür Maß an Wagner und Napoleon), einen „Vorzug" abzugewinnen
(vgl. auch NK Μ 444). In Μ 512 nimmt er die Vorstellung des „Incognito" als
eines Vorzugs für den Philosophen noch einmal auf: „damit sein Incognito und
seine Rücksichtslosigkeit in der Wahrheit zusammenwachsen" (298, 17-19).
Seit der vierten Unzeitgemässen Betrachtung: Richard Wagner in Bayreuth war
N. von „Grösse", „Erfolg" und „Ruhm" fasziniert. Vgl. auch den Dionysos-Di-
thyrambus Ruhm und Ewigkeit in KSA 6, 402-405 und den Kommentar hierzu.

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280, 7 Zweimal Geduld! In Μ 562 formuliert N. diese Erfahrung, die ihren
biographischen Hintergrund in der Reaktion von Mutter und Schwester auf sei-
ne ,Freigeisterei' hat, mit folgenden Worten: „Der Kummer bricht Denen das
Herz, welche es erleben, dass gerade ihr Geliebtester ihre Meinung, ihren Glau-
ben verlässt, - es gehört diess in die Tragödie, welche die freien Geister ma-
chen" (327, 26-29). Vgl. den Brief an Franz Overbeck vom 9. September 1882
(KSB 6/KGB ΙΙΙ/1, Nr. 301) sowie den Brief vom 21. April 1883 an Heinrich Köse-
litz (KSB 6/KGB III/1, Nr. 405), in dem N. schreibt, „daß meine Mutter mich
voriges Jahr einen ,Schimpf der Familie' und ,eine Schande für das Grab mei-
nes Vaters' nannte", und er fährt fort, dass Mutter und Schwester ihn „für
einen ,kalten hartherzigen Egoisten'" halten. In Ecce homo bezeichnet er beide
aber später selbst als „Canaillen" (EH ,Warum ich so weise bin' 3).

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280, 13 Das Reich der Schönheit ist grösser.) Die Verbindung des
„Schönen" mit dem „Bösen", die das aus der Antike stammende und langehin
wirksame Denkmuster der Kalokagathie verkehrt, zeugt von der Ästhetisierung
des Bösen, die sich schon in der Romantik anbahnte, so in Jean Pauls Titan,
in E. T. A. Hoffmanns Erzählung Das Fräulein von Scuderi und in Lord Byrons
Werken. Im ,Satanismus' der französischen Romantik gedieh diese Ästhetisie-
rung des Bösen zur Mode; Baudelaire führte sie zum Höhepunkt, wie bereits
der Titel seiner erstmals 1857 erschienenen Gedichtsammlung Les fleurs du mal
(Die Blumen des Bösen) anzeigt. In seiner Lobrede auf den Lyriker Theodore
Banville (1861) projiziert Baudelaire seine eigene artistische Methode auf die-
sen: „que l'art moderne a une tendance essentiellement demoniaque" (Baude-
laire 1868-1870, III, 374), und er stellt fest: „de la laideur et de la sottise il fera
naitre un nouveau genre d'enchantements" (Baudelaire 1868-1870, III, 372) -
 
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