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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0463
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448 Morgenröthe

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328, 11 Gleich neben der Erfahrung!] Das Insistieren auf „Erfahrung"
entspricht der mit Menschliches, Allzumenschliches beginnenden und sich in
der Morgenröthe intensivierenden Orientierung an einer ohne Illusionen wahr-
genommenen „Wirklichkeit". Sie koinzidiert (trotz der sich in der Morgenröthe
schon abzeichnenden Kritik an der „Freude am Wirklichen"; vgl. M 244) mit
dem zeitgenössischen ,Realismus' und der durch diesen beförderten Aktuali-
sierung des Empirismus. Insbesondere durch das 1877 erschienene Werk von
Afrikan Spir: Denken und Wirklichkeit, das N. intensiv studierte (vgl. NK M 125),
war er auf die darin kritisch analysierte Diskrepanz zwischen „Denken" und
Wirklichkeit aufmerksam geworden. Unter „Nachdenken" (328, 13) versteht er
ein von der Empirie ausgehendes und auf sie hin gerichtetes Denken; der
„gleich daneben" beginnende „leere Raum" und die „Dummheit" ist die Sphä-
re eines sich von der „Erfahrung" ablösenden, verselbständigenden Denkens,
das er gerade als die Gefahr der zu Spekulationen und Hypothesen neigenden
„grossen Geister" ansieht (328, 11 f.).
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328, 16 Würde und Unwissenheit im Bunde.] Im Sinne von La Roche-
foucaulds moralistischer Entlarvungspsychologie werden „Würde" und „Cha-
rakter", traditionell positiv gewertete Eigenschaften, hier als scheinhaft ent-
larvt und auf Unwissenheit und mangelnden Wissensdurst zurückgeführt.
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329, 2 Wohlfeil leben.] Dieser Text, in dem N. nicht vom Philosophen, son-
dern im weiteren Sinne vom „Denker" spricht (vgl. NK M 459), orientiert sich
weitgehend am Lebensideal Epikurs, auf den N. schon in M 563 anspielt. Vgl.
hierzu den Kommentar. Transparent auf die von Epikur bevorzugte Lebenswei-
se ist die Partie 329, 5-19. In einer Hinsicht geht N. jedoch über Epikur hinaus:
Während dieser ein von Beunruhigungen freies, selbstgenügsames und von
maßvoller „Lust" bestimmtes Dasein nicht in Einsamkeit, sondern im Kreis von
Freunden vorzieht, ist N. von seiner eigenen Lebenssituation her mehr an „Ein-
samkeit" (329, 13) interessiert und denkt an Geselligkeit höchstens „von Zeit zu
Zeit" (329, llf.), um immer wieder zur Einsamkeit zurückzukehren. „Einsam-
keit" ist ein markantes Thema in seinen Werken und Briefen; in der Morgenrö-
the vgl. Μ 440, Μ 443, Μ 469, Μ 473, Μ 478, Μ 485, Μ 491, Μ 499, Μ 524. In
Zarathustra I intoniert er emphatisch das Thema der Einsamkeit im Hinblick
 
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