482 Idyllen aus Messina
dingungsverhältnis zu seiner denkerischen ,Weisheit': „Nein, trotz dem, was
der Vogel Specht in dem letzten Gedichtchen sagt - es steht mit meiner Dichte-
rei nicht zum Besten. Aber was liegt daran! Man soll sich seiner Thorheiten
nicht schämen, sonst hat unsre Weisheit wenig Werth." (KSB 6/KGB III/1,
Nr. 263, S. 221 f., Z. 9-12)
Da Köselitz in seinem Antwortschreiben vom 16. Juli durchblicken lässt, er
vermute einen Zusammenhang zwischen N.s Beziehung zu Lou von Salome,
über die ihn dieser im zitierten Brief erstmals informierte, und IM (vgl. KGB
III/2, 267, 10-12), sieht sich N. dazu veranlasst, die ,Lou-Affäre' als Hintergrund
für die ,Liebesgedichte', die immerhin die Hälfte der Texte ausmachen (Die
kleine Brigg; Lied des Ziegenhirten; Die kleine Hexe; „Pia, caritatevole, amorosis-
sima"), zu bestreiten: „Eine Bemerkung Ihres Briefes giebt mir Anlaß, festzu-
stellen, daß alles, was Sie jetzt von meinen Reimereien kennen, vor meiner
Bekanntschaft mit L<ou> entstanden ist" (Brief vom 25. 7. 1882, KSB 6/KGB III/1,
Nr. 272, S. 231 f., Z. 44-46). N. hatte Lou von Salome durch Vermittlung seines
Freundes Paul Ree in der Tat erst im April 1882 kennengelernt; es kam zu einer
spannungsvollen Dreiecksbeziehung und einem gescheiterten Heiratsantrag
N.s.
Dass N. trotz der herabspielenden Bezeichnung von IM als „Harmlosigkei-
ten" und „Reimereien" von der Qualität der Gedichte überzeugt war, legt der
Umstand nahe, dass er sie - freilich in teils veränderter, erweiterter Form und
mit Ausnahme der beiden Gedichte Die kleine Brigg und „Pia, caritatevole, amo-
rosissima" - in die Lieder des Prinzen Vogelfrei integrierte, die er der 1887 er-
schienenen Neuausgabe der Fröhlichen Wissenschaft als „Anhang" beifügte.
Aus diesem Grund wurden die Idyllen in frühere N.-Editionen nicht eigens auf-
genommen; erst die von Colli und Montinari besorgten Kritischen Ausgaben
bieten den Text (in KGW V/2 und KSA 3). Nach der Erstveröffentlichung wurde
der Text erstmals wiederabgedruckt durch Podach 1963, 176-182. In der N.-
Forschung gilt die Gedichtsammlung weitgehend bloß als ein „Intermezzo"
(Janz 1978, 2, 107) zwischen Morgenröthe und Fröhlicher Wissenschaft. Die Ein-
schätzung von Podach 1963, 175, es handele sich um „das Unbekannteste von
dem, was Nietzsche veröffentlicht hat", trifft nach wie vor zu: Untersuchungen
zu IM oder einzelnen Gedichten aus der Sammlung liegen bis heute nur wenige
vor; am ehesten erfahren sie noch in der Gestalt Beachtung, in der sie später
in die Lieder des Prinzen Vogelfrei eingegangen sind. Selbst Meyer 1991, 420,
der bereits fordert, „Nietzsches Idyllen [...] auf jeden Fall [...] als lyrische Gebil-
de ernst zu nehmen", schränkt dies letztlich doch wieder „auf Gedichte wie
Prinz Vogelfrei und Das nächtliche Geheimniss" ein.
Die insgesamt eher stiefmütterliche Behandlung von IM durch die For-
schung korrespondiert freilich in gewisser Weise N.s eigenem Umgang mit der
dingungsverhältnis zu seiner denkerischen ,Weisheit': „Nein, trotz dem, was
der Vogel Specht in dem letzten Gedichtchen sagt - es steht mit meiner Dichte-
rei nicht zum Besten. Aber was liegt daran! Man soll sich seiner Thorheiten
nicht schämen, sonst hat unsre Weisheit wenig Werth." (KSB 6/KGB III/1,
Nr. 263, S. 221 f., Z. 9-12)
Da Köselitz in seinem Antwortschreiben vom 16. Juli durchblicken lässt, er
vermute einen Zusammenhang zwischen N.s Beziehung zu Lou von Salome,
über die ihn dieser im zitierten Brief erstmals informierte, und IM (vgl. KGB
III/2, 267, 10-12), sieht sich N. dazu veranlasst, die ,Lou-Affäre' als Hintergrund
für die ,Liebesgedichte', die immerhin die Hälfte der Texte ausmachen (Die
kleine Brigg; Lied des Ziegenhirten; Die kleine Hexe; „Pia, caritatevole, amorosis-
sima"), zu bestreiten: „Eine Bemerkung Ihres Briefes giebt mir Anlaß, festzu-
stellen, daß alles, was Sie jetzt von meinen Reimereien kennen, vor meiner
Bekanntschaft mit L<ou> entstanden ist" (Brief vom 25. 7. 1882, KSB 6/KGB III/1,
Nr. 272, S. 231 f., Z. 44-46). N. hatte Lou von Salome durch Vermittlung seines
Freundes Paul Ree in der Tat erst im April 1882 kennengelernt; es kam zu einer
spannungsvollen Dreiecksbeziehung und einem gescheiterten Heiratsantrag
N.s.
Dass N. trotz der herabspielenden Bezeichnung von IM als „Harmlosigkei-
ten" und „Reimereien" von der Qualität der Gedichte überzeugt war, legt der
Umstand nahe, dass er sie - freilich in teils veränderter, erweiterter Form und
mit Ausnahme der beiden Gedichte Die kleine Brigg und „Pia, caritatevole, amo-
rosissima" - in die Lieder des Prinzen Vogelfrei integrierte, die er der 1887 er-
schienenen Neuausgabe der Fröhlichen Wissenschaft als „Anhang" beifügte.
Aus diesem Grund wurden die Idyllen in frühere N.-Editionen nicht eigens auf-
genommen; erst die von Colli und Montinari besorgten Kritischen Ausgaben
bieten den Text (in KGW V/2 und KSA 3). Nach der Erstveröffentlichung wurde
der Text erstmals wiederabgedruckt durch Podach 1963, 176-182. In der N.-
Forschung gilt die Gedichtsammlung weitgehend bloß als ein „Intermezzo"
(Janz 1978, 2, 107) zwischen Morgenröthe und Fröhlicher Wissenschaft. Die Ein-
schätzung von Podach 1963, 175, es handele sich um „das Unbekannteste von
dem, was Nietzsche veröffentlicht hat", trifft nach wie vor zu: Untersuchungen
zu IM oder einzelnen Gedichten aus der Sammlung liegen bis heute nur wenige
vor; am ehesten erfahren sie noch in der Gestalt Beachtung, in der sie später
in die Lieder des Prinzen Vogelfrei eingegangen sind. Selbst Meyer 1991, 420,
der bereits fordert, „Nietzsches Idyllen [...] auf jeden Fall [...] als lyrische Gebil-
de ernst zu nehmen", schränkt dies letztlich doch wieder „auf Gedichte wie
Prinz Vogelfrei und Das nächtliche Geheimniss" ein.
Die insgesamt eher stiefmütterliche Behandlung von IM durch die For-
schung korrespondiert freilich in gewisser Weise N.s eigenem Umgang mit der