Überblickskommentar 483
Druckfassung seiner Gedichtsammlung, hatte er selbst doch kein Exemplar des
Erstdrucks mehr zur Hand, als er an die Umarbeitung der Idyllen für den „An-
hang" zur zweiten Ausgabe von FW gehen wollte. Entsprechend musste er
Franz Overbeck im Brief vom 27. Oktober 1886 „um ein Exemplar der ,Idyllen
aus Messina"' bitten: „Ich brauche sie umgehend (wegen der Herstellung
einer kleinen lyrischen Sammlung ,Lieder des Prinzen Vogelfrei') aber besitze
sie nicht." (KSB 7/KGB III/3, Nr. 769, S. 272, Z. 12-15) Dieselbe Bitte richtet N.
dann auch wenige Tage später brieflich an Köselitz: „Wissen Sie mir ein Ex-
emplar der ,Idyllen aus Messina' aufzutreiben? Ich brauche sie umgehend, weil
sie mit einigen Liederchen zusammen den Schluß der ,Fröhlichen Wissen-
schaft' abgeben sollen: nämlich in der neuen Ausgabe." (Brief vom 31. 10. 1886,
KSB 7/KGB III/3, Nr. 770, S. 274, Z. 28-32) Hierin wird N.s ambivalentes Verhält-
nis zu seinem Gedichtzyklus förmlich greifbar: Einerseits hat er nicht einmal
ein gedrucktes Exemplar aufbewahrt, andererseits möchte er die Gedichte nun
unbedingt in die Neu-Ausgabe von FW aufnehmen.
3 Konzeption, Leitmotive und Stil
3.1 Die Tradition der Idylle und Nietzsches Konzepte des Idyllischen
Mit IM knüpft N., wie auch der Titel verrät, an die ihm schon von seiner altphi-
lologischen Ausbildung her vertraute abendländische Literaturtradition der
Idylle an. Diese reicht bis in die griechische Antike zurück; als ihr Gründervater
gilt der altgriechische Dichter Theokrit, der im 3. Jahrhundert v. Chr. in Alex-
andrien lebte und wahrscheinlich in Syrakus, also auf Sizilien, geboren wurde.
Nicht nur durch ihren Titel stellen N.s IM insofern einen doppelten - gattungs-
mäßigen und lokalen - programmatischen Bezug zu der von Theokrit ausge-
henden literarischen Tradition her, sondern dieser wird auch explizit im Unter-
titel von Lied des Ziegenhirten genannt: (An meinen Nachbar Theokrit von Syra-
kusä.) Im „Anhang" zur Neuausgabe der Fröhlichen Wissenschaft wurde die
Theokrit-Referenz dann sogar in den Haupttitel des Gedichts hineingenom-
men; der Text hieß nun Lied eines theokritischen Ziegenhirten.
Im „Corpus Theocriteum" sind 30 sog. Eidyllia überliefert (von denen indes
ca. ein Drittel als nicht authentisch gilt). Das griechische Wort eidyllion, auf
das die Gattungsbezeichnung ,Idylle' zurückgeht, ist um 1800 noch mit ,klei-
nes Bild' ins Deutsche übersetzt worden (vgl. Adelung 1811, 2, 1352); der Altphi-
lologe Wilhelm von Christ argumentierte aber 1869 (S. 49-58), also zu N.s (Stu-
dien-)Zeit, dafür, dass eidyllion richtiger mit ,kleines Gedicht' zu übersetzen
sei, und zwar sowohl im formalen/stilistischen wie im inhaltlichen/themati-
Druckfassung seiner Gedichtsammlung, hatte er selbst doch kein Exemplar des
Erstdrucks mehr zur Hand, als er an die Umarbeitung der Idyllen für den „An-
hang" zur zweiten Ausgabe von FW gehen wollte. Entsprechend musste er
Franz Overbeck im Brief vom 27. Oktober 1886 „um ein Exemplar der ,Idyllen
aus Messina"' bitten: „Ich brauche sie umgehend (wegen der Herstellung
einer kleinen lyrischen Sammlung ,Lieder des Prinzen Vogelfrei') aber besitze
sie nicht." (KSB 7/KGB III/3, Nr. 769, S. 272, Z. 12-15) Dieselbe Bitte richtet N.
dann auch wenige Tage später brieflich an Köselitz: „Wissen Sie mir ein Ex-
emplar der ,Idyllen aus Messina' aufzutreiben? Ich brauche sie umgehend, weil
sie mit einigen Liederchen zusammen den Schluß der ,Fröhlichen Wissen-
schaft' abgeben sollen: nämlich in der neuen Ausgabe." (Brief vom 31. 10. 1886,
KSB 7/KGB III/3, Nr. 770, S. 274, Z. 28-32) Hierin wird N.s ambivalentes Verhält-
nis zu seinem Gedichtzyklus förmlich greifbar: Einerseits hat er nicht einmal
ein gedrucktes Exemplar aufbewahrt, andererseits möchte er die Gedichte nun
unbedingt in die Neu-Ausgabe von FW aufnehmen.
3 Konzeption, Leitmotive und Stil
3.1 Die Tradition der Idylle und Nietzsches Konzepte des Idyllischen
Mit IM knüpft N., wie auch der Titel verrät, an die ihm schon von seiner altphi-
lologischen Ausbildung her vertraute abendländische Literaturtradition der
Idylle an. Diese reicht bis in die griechische Antike zurück; als ihr Gründervater
gilt der altgriechische Dichter Theokrit, der im 3. Jahrhundert v. Chr. in Alex-
andrien lebte und wahrscheinlich in Syrakus, also auf Sizilien, geboren wurde.
Nicht nur durch ihren Titel stellen N.s IM insofern einen doppelten - gattungs-
mäßigen und lokalen - programmatischen Bezug zu der von Theokrit ausge-
henden literarischen Tradition her, sondern dieser wird auch explizit im Unter-
titel von Lied des Ziegenhirten genannt: (An meinen Nachbar Theokrit von Syra-
kusä.) Im „Anhang" zur Neuausgabe der Fröhlichen Wissenschaft wurde die
Theokrit-Referenz dann sogar in den Haupttitel des Gedichts hineingenom-
men; der Text hieß nun Lied eines theokritischen Ziegenhirten.
Im „Corpus Theocriteum" sind 30 sog. Eidyllia überliefert (von denen indes
ca. ein Drittel als nicht authentisch gilt). Das griechische Wort eidyllion, auf
das die Gattungsbezeichnung ,Idylle' zurückgeht, ist um 1800 noch mit ,klei-
nes Bild' ins Deutsche übersetzt worden (vgl. Adelung 1811, 2, 1352); der Altphi-
lologe Wilhelm von Christ argumentierte aber 1869 (S. 49-58), also zu N.s (Stu-
dien-)Zeit, dafür, dass eidyllion richtiger mit ,kleines Gedicht' zu übersetzen
sei, und zwar sowohl im formalen/stilistischen wie im inhaltlichen/themati-