486 Idyllen aus Messina
stellt er das Idyllische als negativen Grundzug des modernen Menschen und
der modernen Oper dar, gegen die Wagner profiliert wird. In Kapitel 8 setzt N.
den dionysischen Satyr der Antike dem „idyllische[n] Schäfer" der Moderne
entgegen (ohne die Entstehung der Gattungstradition der Idylle in der griechi-
schen Antike zu reflektieren); beide Gestalten seien „zwar Ausgeburten einer
auf das Ursprüngliche und Natürliche gerichteten Sehnsucht", aber der Satyr
wird positiv als ,echte', der Schäfer hingegen negativ als ,falsche' Inkarnation
dieser Natur- und Ursprungssehnsucht gewertet: „mit welchem festen uner-
schrocknen Griffe fasste der Grieche nach seinem Waldmenschen, wie ver-
schämt und weichlich tändelte der moderne Mensch mit dem Schmeichelbild
eines zärtlichen flötenden weichgearteten Hirten!" (GT 8, KSA 1, 57, 31-58, 4) N.
führt dies auf die der rationalen Kultur geschuldete Unkenntnis des modernen
Menschen über die ,wahre Natur' zurück: „Jener idyllische Schäfer des moder-
nen Menschen ist nur ein Konterfei der ihm als Natur geltenden Summe von
Bildungsillusionen" (GT 8, KSA 1, 59, 7-9).
In GT 19, wo sich N. auch explizit auf Schillers Idyllen-Theorie bezieht,
überträgt er dann seine Abwertung des modernen idyllischen Schäfers auf die
perhorreszierte vor-wagnersche Oper, als deren Grundprinzip er das Rezitativ
herausstellt. Der Rezitativstil habe zur Zeit seiner Erfindung - zu Unrecht - als
Wiederbelebung der altgriechischen Musik gegolten; man habe vermeint, „jetzt
wieder in die paradiesischen Anfänge der Menschheit hinabgestiegen zu sein,
in der nothwendig auch die Musik jene unübertroffne Reinheit, Macht und Un-
schuld gehabt haben müsste, von der die Dichter in ihren Schäferspielen so
rührend zu erzählen wussten." (GT 19, KSA 1, 122, 5-9) Den Hauptfehler in
dieser Auffassung sieht N. in dem sich darin manifestierenden „Bedürfniss un-
aesthetischer Art: [der] Sehnsucht zum Idyll", die - ganz rousseauistisch - von
der ursprünglichen Existenz eines „guten Menschen" ausging (GT 19, KSA 1,
122, 12-14): und damit von einer „optimistischen Verherrlichung des Menschen
an sich" (GT 19, KSA 1, 122, 31 f.), die nicht nur der von N. behaupteten tragisch-
pessimistischen Grundeinstellung der alten Griechen diametral widerspricht,
sondern überhaupt völlig unkünstlerisch sei. Indem er Schiller mit den Worten
paraphrasiert, die „Idylle in weitester Bedeutung" komme dadurch zustande,
dass „die Natur und das Ideal [...] ein Gegenstand der Freude [sind], indem
sie als wirklich vorgestellt werden" (GT 19, KSA 1, 124, 13-16), fasst N. seine
Überlegungen unter der Formel „einer idyllischen Tendenz der Oper"
(GT 19, KSA 1, 124, lO f.) zusammen. Und diese idyllische Tendenz gilt ihm
schließlich als „die Frucht jenes Optimismus, der aus der Tiefe der sokrati-
schen Weltbetrachtung hier wie eine süsslich verführerische Duftsäule empor-
steigt." (GT 19, KSA 1, 125, 11-13) Die Gefahr solcher Verführung zum idyllischen
Optimismus sei allerdings durch die Wiedergeburt der griechischen Tragödie'
stellt er das Idyllische als negativen Grundzug des modernen Menschen und
der modernen Oper dar, gegen die Wagner profiliert wird. In Kapitel 8 setzt N.
den dionysischen Satyr der Antike dem „idyllische[n] Schäfer" der Moderne
entgegen (ohne die Entstehung der Gattungstradition der Idylle in der griechi-
schen Antike zu reflektieren); beide Gestalten seien „zwar Ausgeburten einer
auf das Ursprüngliche und Natürliche gerichteten Sehnsucht", aber der Satyr
wird positiv als ,echte', der Schäfer hingegen negativ als ,falsche' Inkarnation
dieser Natur- und Ursprungssehnsucht gewertet: „mit welchem festen uner-
schrocknen Griffe fasste der Grieche nach seinem Waldmenschen, wie ver-
schämt und weichlich tändelte der moderne Mensch mit dem Schmeichelbild
eines zärtlichen flötenden weichgearteten Hirten!" (GT 8, KSA 1, 57, 31-58, 4) N.
führt dies auf die der rationalen Kultur geschuldete Unkenntnis des modernen
Menschen über die ,wahre Natur' zurück: „Jener idyllische Schäfer des moder-
nen Menschen ist nur ein Konterfei der ihm als Natur geltenden Summe von
Bildungsillusionen" (GT 8, KSA 1, 59, 7-9).
In GT 19, wo sich N. auch explizit auf Schillers Idyllen-Theorie bezieht,
überträgt er dann seine Abwertung des modernen idyllischen Schäfers auf die
perhorreszierte vor-wagnersche Oper, als deren Grundprinzip er das Rezitativ
herausstellt. Der Rezitativstil habe zur Zeit seiner Erfindung - zu Unrecht - als
Wiederbelebung der altgriechischen Musik gegolten; man habe vermeint, „jetzt
wieder in die paradiesischen Anfänge der Menschheit hinabgestiegen zu sein,
in der nothwendig auch die Musik jene unübertroffne Reinheit, Macht und Un-
schuld gehabt haben müsste, von der die Dichter in ihren Schäferspielen so
rührend zu erzählen wussten." (GT 19, KSA 1, 122, 5-9) Den Hauptfehler in
dieser Auffassung sieht N. in dem sich darin manifestierenden „Bedürfniss un-
aesthetischer Art: [der] Sehnsucht zum Idyll", die - ganz rousseauistisch - von
der ursprünglichen Existenz eines „guten Menschen" ausging (GT 19, KSA 1,
122, 12-14): und damit von einer „optimistischen Verherrlichung des Menschen
an sich" (GT 19, KSA 1, 122, 31 f.), die nicht nur der von N. behaupteten tragisch-
pessimistischen Grundeinstellung der alten Griechen diametral widerspricht,
sondern überhaupt völlig unkünstlerisch sei. Indem er Schiller mit den Worten
paraphrasiert, die „Idylle in weitester Bedeutung" komme dadurch zustande,
dass „die Natur und das Ideal [...] ein Gegenstand der Freude [sind], indem
sie als wirklich vorgestellt werden" (GT 19, KSA 1, 124, 13-16), fasst N. seine
Überlegungen unter der Formel „einer idyllischen Tendenz der Oper"
(GT 19, KSA 1, 124, lO f.) zusammen. Und diese idyllische Tendenz gilt ihm
schließlich als „die Frucht jenes Optimismus, der aus der Tiefe der sokrati-
schen Weltbetrachtung hier wie eine süsslich verführerische Duftsäule empor-
steigt." (GT 19, KSA 1, 125, 11-13) Die Gefahr solcher Verführung zum idyllischen
Optimismus sei allerdings durch die Wiedergeburt der griechischen Tragödie'