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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0504
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Überblickskommentar 489

gen gegenüber dem Frühwerk sind signifikant: Das Idyllische erscheint nicht
mehr als Grundzug der ,sentimentalischen' Moderne, sondern der ,naiven' grie-
chischen Antike, und an die Stelle der tragischen bzw. radikalen Idylle einer
pessimistisch grundierten schrecklichen Natur tritt nunmehr die heroische
Idylle einer landschaftlichen „Schönheit", die zwar auch hier noch „zum
Schaudern" ist, aber doch als Schönheit „zur stummen Anbetung des Augen-
blicks ihrer Offenbarung" auffordert (MA II WS 295, 686, 27-29).
In einem Nachlass-Notat aus dem Sommer 1879 formuliert N. das entspre-
chende Erlebnis, auf dem dieser Kurztext beruht, hier allerdings noch nicht
mit Blick auf die klassizistischen Landschaftsgemälde Poussins, sondern auf
diejenigen seines Zeitgenossen Claude Lorrain (1600-1682). N. berichtet in dem
Notat sogar davon, angesichts des ihm neu aufgegangenen Heroisch-Idylli-
schen der Natur (um St. Moritz) vor Rührung geweint zu haben: „Vorgestern
gegen Abend war ich ganz in Claude Lorrain'sche Entzückungen untergetaucht
und brach endlich in langes heftiges Weinen aus. Daß ich dies noch erleben
durfte! [...] Das Heroisch-Idyllische ist jetzt die Entdeckung meiner Seele: und
alles Bukolische der Alten ist mit einem Schlage jetzt vor mir entschleiert und
offenbar geworden - bis jetzt begriff ich nichts davon." (NL 1879, 43[3], KSA 8,
610, 8-15) Entscheidend ist auch hier, dass es sich, zumindest dem Anspruch
nach, nicht um eine Erfahrung angesichts schöner Kunst, sondern angesichts
schöner Natur handelt. Das Heroisch-Idyllische wird nicht etwa aus einem Ge-
mälde Claude Lorrains abgelesen; vielmehr bestätigt die Natur-Erfahrung so,
dass die Kunst, wie es ein Basiskonzept der Ästhetik-Tradition besagt, tatsäch-
lich die Nachahmerin der Natur ist: „Ich hatte nicht gewußt, daß die Erde dies
zeige und meinte, die guten Maler hätten es erfunden." (NL 1879, 43[3], KSA 8,
610, 10-12) Die eigentümliche Verbindung des Heroischen und Idyllischen fin-
det sich auch ansonsten in N.s mittlerer Periode, beispielsweise in einem Brief
an Köselitz vom 8. Juli 1881, wo er seinen gegenwärtigen Aufenthaltsort Sils-
Maria im Oberengadin eine „ewige[ ] heroische[ ] Idylle" nennt (KSB 6/KGB
III/1, Nr. 122, S. 100, Z. 16 f.), oder in einem nachgelassenen Notat aus dem
Frühsommer 1883, in dem nicht nur der „Heroism als Zeichen der Freiheit"
verstanden, sondern auch festgestellt wird, dass zu solchem „Heroism [...] auch
der herzliche Antheil am Kleinen, Idyllischen" gehöre (NL 1883, 7[38], KSA 10,
255, 5-8).
Bei allem freigeistigen Heroismus nahm der ,mittlere' N. in der Tat Anteil
am Idyllischen, das er früher als das Romanisch-Moderne ablehnte. So betont
er mit Blick auf Bizet, den er nach seiner Loslösung von Wagner immer wieder
als dessen Antipoden darstellte, im Brief an Franz Overbeck vom 20. Dezember
1882: „Ich habe die Idylle nöthig - zur Gesundheit." (KSB 6/KGB III/1,
Nr. 359, S. 306, Z. 33 f.) Die Idylle wird damit auch zum Remedium, zum Thera-
 
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