492 Idyllen aus Messina
zweiten Person selbst anredet und fragt, ob es seinen Verstand verloren habe,
was der „Vogel Specht" durch den Hinweis auf das mit ihm geteilte Dichtertum
bejaht:
„Du ein Dichter? Du ein Dichter?
Stehts mit deinem Kopf so schlecht? -
,Ja, mein Herr! Sie sind ein Dichter!'
- Also sprach der Vogel Specht." (342, 22-25)
Offenkundig steckt hinter der Maske dieses lyrischen Ichs N. selbst, der von
Jugend an und bis in seine späte Schaffensphase hinein immer wieder Gedich-
te schrieb (zuletzt die Dionysos-Dithyramben; vgl. NK 6/2, 641-700) und sich
selbst nicht nur als Denker, sondern auch als Dichter verstand, wie er denn
überhaupt eine starke Affinität zum Künstlerischen besaß - und entsprechend
bis heute als ,Dichterphilosoph' rezipiert wird. Allerdings kommt in der an sich
selbst adressierten Frage „Du ein Dichter? / Stehts mit deinem Kopf so
schlecht?" nicht nur ein gewisser Zweifel an der eigenen Dichterbegabung zum
Ausdruck, wie ihn N. in Bezug auf die Idyllen auch seinem Freund Heinrich
Köselitz gegenüber geäußert hat, sondern überdies - bei aller Ironie - auch
ein gewisser Zweifel an der Dichtung selbst: Noch im ersten Text von DD mit
dem aufschlussreichen Titel Nur Narr! Nur Dichter! artikuliert N. ihn, wenn es
dort heißt, „dass ich verbannt sei / von aller Wahrheit! / Nur
Narr! Nur Dichter!..." (KSA 6, 380, 19-21)
Auch wenn das lyrische Ich im vorletzten Gedicht Vogel Albatross nicht
eigens als Dichter hervortritt, sondern nur sehnsuchtsvoll-anteilnehmend den
Höhen-Flug des Albatros schildert, ergeben sich doch durch den Kontext des
poetologisch besetzten Vogel- und Flugmotivs auch hier poetologische Deu-
tungsmöglichkeiten. Nicht von ungefähr fungiert der Albatros auch in dem Ge-
dicht L'Albatros aus Charles Baudelaires erstem Gedichtband Les fleurs du mal
(1857-1868) als Sinnbild für den Dichter. Da N., der zwar eine 1882 erschienene
Ausgabe der Fleurs du mal in seiner persönlichen Bibliothek besaß (NPB 131 f.),
Baudelaire allerdings zum ersten Mal 1884 erwähnt, bleibt trotz der motivi-
schen Ähnlichkeit zwischen den Texten ungewiss, ob es sich bei N.s Gedicht
um eine Adaption des Baudelaire-Gedichts handelt.
Das zweite Hauptmotiv ist das der Liebe. Abgesehen von den Gedichten
Das nächtliche Geheimniss und Vogel-Urtheil klingt es in jedem Text an, unter-
schwellig bereits in der Anrede der „schönen Vögelchen" im Eingangsgedicht,
und selbst dem Albatros im vorletzten Gedicht ruft das lyrische Ich zu: „ja, ich
liebe dich!" (342, 8). Eindeutiger auf die geschlechtliche Liebe sind die übrigen
Gedichte bezogen: drei von ihnen aus der weiblichen Perspektive (Die kleine
zweiten Person selbst anredet und fragt, ob es seinen Verstand verloren habe,
was der „Vogel Specht" durch den Hinweis auf das mit ihm geteilte Dichtertum
bejaht:
„Du ein Dichter? Du ein Dichter?
Stehts mit deinem Kopf so schlecht? -
,Ja, mein Herr! Sie sind ein Dichter!'
- Also sprach der Vogel Specht." (342, 22-25)
Offenkundig steckt hinter der Maske dieses lyrischen Ichs N. selbst, der von
Jugend an und bis in seine späte Schaffensphase hinein immer wieder Gedich-
te schrieb (zuletzt die Dionysos-Dithyramben; vgl. NK 6/2, 641-700) und sich
selbst nicht nur als Denker, sondern auch als Dichter verstand, wie er denn
überhaupt eine starke Affinität zum Künstlerischen besaß - und entsprechend
bis heute als ,Dichterphilosoph' rezipiert wird. Allerdings kommt in der an sich
selbst adressierten Frage „Du ein Dichter? / Stehts mit deinem Kopf so
schlecht?" nicht nur ein gewisser Zweifel an der eigenen Dichterbegabung zum
Ausdruck, wie ihn N. in Bezug auf die Idyllen auch seinem Freund Heinrich
Köselitz gegenüber geäußert hat, sondern überdies - bei aller Ironie - auch
ein gewisser Zweifel an der Dichtung selbst: Noch im ersten Text von DD mit
dem aufschlussreichen Titel Nur Narr! Nur Dichter! artikuliert N. ihn, wenn es
dort heißt, „dass ich verbannt sei / von aller Wahrheit! / Nur
Narr! Nur Dichter!..." (KSA 6, 380, 19-21)
Auch wenn das lyrische Ich im vorletzten Gedicht Vogel Albatross nicht
eigens als Dichter hervortritt, sondern nur sehnsuchtsvoll-anteilnehmend den
Höhen-Flug des Albatros schildert, ergeben sich doch durch den Kontext des
poetologisch besetzten Vogel- und Flugmotivs auch hier poetologische Deu-
tungsmöglichkeiten. Nicht von ungefähr fungiert der Albatros auch in dem Ge-
dicht L'Albatros aus Charles Baudelaires erstem Gedichtband Les fleurs du mal
(1857-1868) als Sinnbild für den Dichter. Da N., der zwar eine 1882 erschienene
Ausgabe der Fleurs du mal in seiner persönlichen Bibliothek besaß (NPB 131 f.),
Baudelaire allerdings zum ersten Mal 1884 erwähnt, bleibt trotz der motivi-
schen Ähnlichkeit zwischen den Texten ungewiss, ob es sich bei N.s Gedicht
um eine Adaption des Baudelaire-Gedichts handelt.
Das zweite Hauptmotiv ist das der Liebe. Abgesehen von den Gedichten
Das nächtliche Geheimniss und Vogel-Urtheil klingt es in jedem Text an, unter-
schwellig bereits in der Anrede der „schönen Vögelchen" im Eingangsgedicht,
und selbst dem Albatros im vorletzten Gedicht ruft das lyrische Ich zu: „ja, ich
liebe dich!" (342, 8). Eindeutiger auf die geschlechtliche Liebe sind die übrigen
Gedichte bezogen: drei von ihnen aus der weiblichen Perspektive (Die kleine