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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0509
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494 Idyllen aus Messina

stürzte, so „Dass die liebe Seele wich" (337, 9). Das Todes-Motiv kehrt auch in
„Pia, caritatevole, amorosissima" wieder, das schon allein durch seinen Unter-
titel (Auf dem campo santo.) auf diese Thematik hindeutet. Das hier angespro-
chene Mädchen ist bereits begraben, und ihr unglückliches Schicksal wird nur
assoziativ imaginiert: angesichts ihres Grabsteins, auf dem die Titelworte ein-
graviert sind. Was beim Ich des Ziegenhirten wohl mehr eine Floskel bleibt -
die ,Sehnsucht nach dem Tode' aus unglücklicher Liebe -, wird dem als „Amo-
rosissima" angesprochenen Mädchen mittels einer rhetorischen Frage als To-
desursache zugeschrieben:
„Du schwiegst - und starbst vor Sehnen,
Amorosissima?" (341, 17 f.)
Das mit den Motiven der Liebe und des Todes verflochtene Sehnsuchts- und
Leidensmotiv, das schon mehrfach angeklungen ist, findet sich schließlich
auch in dem fünften Gedicht: Das nächtliche Schweigen, dem schwermütigsten
und zugleich rätselhaftesten Text in IM. Den Tiefpunkt der depressiv gestimm-
ten Schilderung eines nächtlichen Aufenthalts des ruhelosen lyrischen Ichs am
Meer bildet hier das plötzliche Versinken von
„[...] Sinn und Gedanken
In ein ew'ges Einerlei,
Und ein Abgrund ohne Schranken
That sich auf: - da war's vorbei! -" (340, 19-22)
Mit dieser enigmatisch-melancholischen Vision einer leeren Unendlichkeit ist
innerhalb der Gedichtsammlung die größte Ferne zur idyllischen ,Heiterkeit'
erreicht. Die metaphorische Assoziation von „Mann und Kahn", die das lyri-
sche Ich am Strand antrifft, mit „Hirt und Schaf" (340, 14 f.), bildet indes selbst
hier noch eine thematische Reminiszenz an die bukolisch-idyllische Tradition.
3.3 Form und Stil
Geringer als die motivisch-thematischen Anknüpfungen an die Idyllen-Tradi-
tion fallen die stilistisch-formalen aus. Zeichnet sich die Gattung der Idylle
schon bei ihrem Begründer Theokrit in formaler Hinsicht durch ihr Verfahren
der Gattungsmischung aus, indem sie das dramatische Element des Mimus
(Szenen aus dem Alltagsleben, wie sie sich bereits im 5. Jh. v. Chr. bei Sophron
finden) mit dem lyrischen Element der volkstümlichen Hirtengesänge verbin-
det und beides in das epische Versmaß des Hexameters überträgt, verbleiben
 
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