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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0526
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Stellenkommentar Die kleine Brigg, KSA 3, S. 336 511

oder resignierender Empfindungen" (Frank 1980, 174) kontrastiert der ironisch-
distanzierte Duktus von N.s Text allerdings merklich.
Im Brief an Köselitz, dem er das Gedicht beifügte, betont N. selbst aus-
drücklich dessen ,heiteren' Charakter: „Mein lieber armer Freund, hier ein
Liedchen zu unsrer Erheiterung: wir haben sie Beide so nöthig." (Brief vom
15. 3. 1882, KSB 6/KGB III/1, Nr. 209, S. 177, Z. 2f.) Dass es sich um ein „scherz-
haft-galantes [...] Rokoko-Gedicht" handeln soll (Meyer 1991, 419) erweist sich
indes - trotz des Strophenformzitats - als gattungsgeschichtlich abwegige Be-
hauptung.
336, 6 Die kleine Brigg, genannt „das Engelchen".] „Brigg" be-
zeichnet einen Schiffstyp. In der zeitgenössischen vierten Auflage von Meyers
Konversations-Lexikon 1885-1892, 3, 425 wird unter dem Lemma „Brigg" ausge-
führt: „ein Fahrzeug mit zwei vollgetakelten Masten, welches also an beiden
Masten (Fockmast und Großmast) gleichmäßig Mars- und Bramstengen und
daran je ein Raasegel (Quersegel) führt; das am erstem Mast befestigte Groß-
Gaffelsegel wird Briggsegel, das Rundholz, woran der untere Teil dieses Segels
ausgespannt ist, der Briggbaum genannt. [...] Auch Dampfer führen oft Briggta-
kelage". Der Titelzusatz „genannt ,das Engelchen'" verweist auf die geläufige
Praxis, Schiffen weibliche Namen zu geben. Möglicherweise hat N. im Hafen
von Genua eine Brigg mit dem italienischen Namen ,Angelina' (= ,Engelchen')
gesehen und dies zum Anlass für sein Gedicht genommen. Vgl. hierzu GoA 8,
451: „Das Ganze ist gedichtet auf ein Schiff, das zum Gedächtniss eines Mäd-
chens, welches sich aus Liebeskummer in's Meer gestürzt, auf jenen Namen
,Angiolina' getauft war."
336, 8 Jetzt ein Schiff, dereinst ein Mädchen] Das Temporaladverb „dereinst"
wird hier im heute veralteten Sinn von ,früher', ,ehemals' gebraucht. Die Vers-
zeile spielt vielleicht auch mit dem im italienischen Sprachraum üblichen Ver-
gleich zwischen der Jungfrau Maria und einem Schiff, der sich auch in dem
bekannten deutschen Adventschoral Es kommt ein Schiff geladen findet (vgl.
Müller 1995, 79): Die schwangere Jungfrau Maria wird in dem Johannes Tauler
(ca. 1300-1361) zugeschriebenen Liedtext, der im 19. Jahrhundert sowohl von
katholischer wie bemerkenswerterweise auch von protestantischer Seite wie-
derentdeckt worden ist (vgl. Fischer 2005, 12-14), allegorisierend einem mit
kostbarer Fracht (= Jesus Christus) beladenen Schiff verglichen. „Santa Maria"
hieß in dieser Tradition auch das Flaggschiff der ersten Expedition, die Chris-
toph Kolumbus in den Jahren 1492/93 durchführte, um einen Westweg nach
Indien zu finden (um die Entstehungszeit von IM verglich sich N. gern mit
dem Genueser Seefahrer und Entdecker, so etwa in M 575 oder in dem Gedicht
„Freundin - sprach Kolumbus", an Lou von Salome, Anfang November 1882,
KSB 6/KGB III/1, Nr. 321, S. 271, Z. 2-10).
 
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