Stellenkommentar Die kleine Brigg, KSA 3, S. 336 513
einen einzigen Ehrenpunkt; daß es glauben muß mehr zu lieben als es geliebt
wird. Jenseits dieses Punktes beginnt sofort die Prostitution." (NL 1882, 4[58],
KSA 10, 127, 16-18) An dieser Auffassung hält N. bis ins Spätwerk hinein fest.
Im ,Fünften Buch' der Fröhlichen Wissenschaft (Neuausgabe von 1887) behaup-
tet er unter dem Titel „Wie jedes Geschlecht über die Liebe sein
Vorurtheil hat": „Was das Weib unter Liebe versteht, ist klar genug: voll-
kommene Hingabe (nicht nur Hingebung) mit Seele und Leib, ohne jede Rück-
sicht, jeden Vorbehalt, mit Scham und Schrecken vielmehr vor dem Gedanken
einer verklausulirten, an Bedingungen geknüpften Hingabe. In dieser Abwe-
senheit von Bedingungen ist eben seine Liebe ein Glaube: das Weib hat
keinen anderen." (FW 363, KSA 3, 611, 5-11) Diese Vorstellung von einer das
weibliche Geschlecht auszeichnenden absoluten Fixierung auf „Liebe" spielen
die vorliegenden und folgenden Verse in lyrischer Rollenrede durch.
Mit seinem stereotypen Frauenbild steht N. ideengeschichtlich zwischen
Schopenhauers misogynen Auslassungen über die „Weiber" und Otto Weinin-
gers idealtypischer Gleichsetzung von „Weib" und „Sexualität" in seinem wir-
kungsmächtigen Hauptwerk Geschlecht und Charakter (1903).
336, 13-16 Bin geschmückt mit hundert Fähnchen, / Und das schönste Kapitän-
chen / Bläht an meinem Steuer sich, I Als das hundert erste Fähnchen.] Auch die
Betonung des reichen ,Schmucks', dem selbst der Kapitän/der Mann verniedli-
chend subsumiert wird, soll die weibliche Identität des Schiffes unterstreichen.
In Jenseits von Gut und Böse schreibt N. (in Anspielung auf die berühmte
Schluss-Formel von Goethes Faust II): „ich denke doch, das Sich-Putzen gehört
zum Ewig-Weiblichen" (JGB 232, KSA 5, 171, 23 f.). Diesem Hang zum „Sich-
Putzen" entspricht die von N. wiederholt behauptete oberflächliche Naivität
des „Weibes", auf die wohl auch die ausufernde Verwendung der Diminutive
im Gedicht ironisch verweisen soll.
336, 18-20 Ueberall hin, wo ein Flämmchen I Für mich glüht, lauf ich ein
Lämmchen I Meinen Weg sehnsüchtiglich] Es handelt sich um ein andeutungs-
reiches Spiel mit dem Bild des Leuchtturms, der dem Schiff Orientierung gibt,
insofern die Verse sogleich wieder die Übertragung auf die weibliche Identität
des „Engelchens" intendieren: Das „Flämmchen" des Leuchtturms verweist
auf die traditionelle Metapher des ,Feuers' der Liebe. Darauf deutet auch das
Verb „glüht" hin, das die topische ,Liebesglut' aufruft. Im vorliegenden Gedicht
ist damit das männliche Begehren gemeint. Über dessen - in physiologischen
Veränderungen des weiblichen Körpers sich äußernde - Anziehungskraft auf
„Mädchen" hält N. in einer Nachlass-Aufzeichnung aus dem Jahr 1888 fest:
„Die Muskelkraft eines Mädchens wächst, sobald nur ein Mann in seine
Nähe kommt; es giebt Instrumente, dies zu messen." (NL 1888, 17[5], KSA 13,
einen einzigen Ehrenpunkt; daß es glauben muß mehr zu lieben als es geliebt
wird. Jenseits dieses Punktes beginnt sofort die Prostitution." (NL 1882, 4[58],
KSA 10, 127, 16-18) An dieser Auffassung hält N. bis ins Spätwerk hinein fest.
Im ,Fünften Buch' der Fröhlichen Wissenschaft (Neuausgabe von 1887) behaup-
tet er unter dem Titel „Wie jedes Geschlecht über die Liebe sein
Vorurtheil hat": „Was das Weib unter Liebe versteht, ist klar genug: voll-
kommene Hingabe (nicht nur Hingebung) mit Seele und Leib, ohne jede Rück-
sicht, jeden Vorbehalt, mit Scham und Schrecken vielmehr vor dem Gedanken
einer verklausulirten, an Bedingungen geknüpften Hingabe. In dieser Abwe-
senheit von Bedingungen ist eben seine Liebe ein Glaube: das Weib hat
keinen anderen." (FW 363, KSA 3, 611, 5-11) Diese Vorstellung von einer das
weibliche Geschlecht auszeichnenden absoluten Fixierung auf „Liebe" spielen
die vorliegenden und folgenden Verse in lyrischer Rollenrede durch.
Mit seinem stereotypen Frauenbild steht N. ideengeschichtlich zwischen
Schopenhauers misogynen Auslassungen über die „Weiber" und Otto Weinin-
gers idealtypischer Gleichsetzung von „Weib" und „Sexualität" in seinem wir-
kungsmächtigen Hauptwerk Geschlecht und Charakter (1903).
336, 13-16 Bin geschmückt mit hundert Fähnchen, / Und das schönste Kapitän-
chen / Bläht an meinem Steuer sich, I Als das hundert erste Fähnchen.] Auch die
Betonung des reichen ,Schmucks', dem selbst der Kapitän/der Mann verniedli-
chend subsumiert wird, soll die weibliche Identität des Schiffes unterstreichen.
In Jenseits von Gut und Böse schreibt N. (in Anspielung auf die berühmte
Schluss-Formel von Goethes Faust II): „ich denke doch, das Sich-Putzen gehört
zum Ewig-Weiblichen" (JGB 232, KSA 5, 171, 23 f.). Diesem Hang zum „Sich-
Putzen" entspricht die von N. wiederholt behauptete oberflächliche Naivität
des „Weibes", auf die wohl auch die ausufernde Verwendung der Diminutive
im Gedicht ironisch verweisen soll.
336, 18-20 Ueberall hin, wo ein Flämmchen I Für mich glüht, lauf ich ein
Lämmchen I Meinen Weg sehnsüchtiglich] Es handelt sich um ein andeutungs-
reiches Spiel mit dem Bild des Leuchtturms, der dem Schiff Orientierung gibt,
insofern die Verse sogleich wieder die Übertragung auf die weibliche Identität
des „Engelchens" intendieren: Das „Flämmchen" des Leuchtturms verweist
auf die traditionelle Metapher des ,Feuers' der Liebe. Darauf deutet auch das
Verb „glüht" hin, das die topische ,Liebesglut' aufruft. Im vorliegenden Gedicht
ist damit das männliche Begehren gemeint. Über dessen - in physiologischen
Veränderungen des weiblichen Körpers sich äußernde - Anziehungskraft auf
„Mädchen" hält N. in einer Nachlass-Aufzeichnung aus dem Jahr 1888 fest:
„Die Muskelkraft eines Mädchens wächst, sobald nur ein Mann in seine
Nähe kommt; es giebt Instrumente, dies zu messen." (NL 1888, 17[5], KSA 13,