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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0531
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516 Idyllen aus Messina

zept der Anamnesis, der Wieder-Erinnerung (an die Ideen) verknüpft. Für die
Anamnesis-Lehre zentral ist der Dialog Menon. Und im Phaidon lässt Platon
Sokrates argumentieren, dass „jedes Lebende aus dem Todten entstehe." Der
Gedankengang, der sich auf den vorangehenden ,Beweis' der Präexistenz der
Seele vor der Geburt stützt, lautet so: „Denn ist die Seele auch früher und ist
es nothwendig, daß, wenn sie dem Leben entgegengeht und geboren wird, sie
aus nichts anderm als dem Tode und dem Todsein geboren werde, wie wäre
es für dieselbe nicht ebenfalls nothwendig, daß sie auch, nachdem sie dahin-
starb, sei, da sie ja wieder geboren werden muß" (Phaidon 77 c-d). Im Vierten
Buch der Welt als Wille und Vorstellung II greift auch Schopenhauer auf diesen
Gedanken zurück, der ihm nicht nur aus der antiken Philosophie, sondern
ebenfalls aus dem Buddhismus bekannt war. Auf dem willensmetaphysischen
Fundament seiner Philosophie lehnt er zwar die Lehre von der „Metempsycho-
se" ab, welche die Unsterblichkeit und Wiedergeburt der gesamten Seele mit-
samt dem Intellekt behauptet; er selbst geht aber von „steten Wiedergeburten"
im Sinne der „Succession der Lebensträume eines an sich unzerstörbaren Wil-
lens" aus, für die er den Namen „Palingenesie" reservieren möchte (Schopen-
hauer 1873, 3, 576). Die Wiedergeburt betreffe „nicht das erkennende Wesen
[...], sondern den Willen allein" (Schopenhauer 1873, 3, 575).
N. parodiert den Gedanken der Wiedergeburt, indem er die „Seele" des
toten Mädchens in das Schiff übergehen lässt. Damit verbunden ist eine weite-
re tiermetaphorische ,Metamorphose' des Mädchens, das zuerst mit einem
„Lämmchen" und anschließend mit einem „Hündchen" verglichen wurde und
dessen Seele jetzt als ein „Kätzchen" erscheint, das mit „geschwinde[n] Tätz-
chen" (337, 15) gleichsam aus dem toten Körper in das Schiff springt. Auch
diese dritte Transformation des Mädchens zum „Kätzchen" korrespondiert N.s
klischeehaftem Weiblichkeitskonzept. In Jenseits von Gut und Böse betont er
die „ächte raubthierhafte listige Geschmeidigkeit" des „Weibes", „seine Tiger-
kralle unter dem Handschuh, seine Naivetät im Egoismus, seine Unerziehbar-
keit und innerliche Wildheit, das Unfassliche, Weite, Schweifende seiner Be-
gierden", und prägt dafür schließlich die Formel: „diese gefährliche und schö-
ne Katze ,Weib'" (JGB 239, KSA 5, 178, 7-12; vgl. auch JGB 131, KSA 5, 96, 7f.).
337, 16-20 Engelchen: so nennt man mich - / [...] / Stäts mein feines Steuerräd-
chen.] Ringkompositorische Wiederholung der Eingangsstrophe. Das Gedicht
erhält dadurch einen rahmenden Abschluss, der zu seinem liedhaften Charak-
ter beiträgt. In der Fassung, die N. am 15. März 1882 an Köselitz schickte (vgl.
KSB 6/KGB ΙΙΙ/1, Nr. 209, S. 178 f., Z. 25-66), folgt auf die letzte Strophe noch,
abgesetzt durch eine Leerzeile, die zu Beginn jeder Strophe wiederholte Vers-
zeile „Engelchen: so nennt man mich."
 
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