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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0533
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518 Idyllen aus Messina

krit das Liebesleid ,seines' Hirten ironisch-distanziert gestaltet. Die Widmung
an Theokrit ist durchaus positiv konnotiert. N. besaß nicht nur eine Theokrit-
Ausgabe (mit Lesespuren) in seiner persönlichen Bibliothek (Theokrit, Bion und
Moschus. Griechisch mit metrischer Übersetzung und prüfenden und erklärenden
Anmerkungen von J. Α. Hartung, Leipzig 1858 [NPB, 591 f.]), sondern äußerte
sich in seiner ,mittleren' Phase auch stets positiv über Theokrit. So stellt er ihn
in Menschliches, Allzumenschliches in eine Reihe mit „Homer, Sophokles, [...]
Calderon, Racine, Goethe", deren Kunst er als den „Ueberschuss einer wei-
sen und harmonischen Lebensführung" würdigt (MA II VMS 173, KSA 2, 453,
7-9).
337, 23 f. Da lieg ich, krank im Gedärm - / Mich fressen die Wanzen.) Reminis-
zenz an den vorletzten Vers von Theokrits 3. Idylle Das Ständchen, in dem der
ebenfalls an unglücklicher Liebe leidende Ziegenhirte ausruft: „Werd' umfallen
und liegen, mich werden die Wölfe verzehren" (Theokrit 1858, 31). Vor dem
Hintergrund von N.s kritischen Äußerungen über den seines Erachtens „ganz
schwach[en] und undichterisch[en]" Eduard Mörike (NL 1875, 8[2], KSA 8, 128,
14) lässt sich überdies an eine Verballhornung der Anfangsverse von dessen
Gedicht Im Frühling denken (vgl. NH 153): „Hier lieg' ich auf dem Frühlingshü-
gel: / Die Wolke wird mein Flügel" (Mörike 1954, 48). Das Kranksein von N.s
Ziegenhirten „im Gedärm" hat auch einen biographischen Bezug: N. litt nicht
nur immer wieder unter Kopfschmerzen, Schwindel und Sehschwäche, son-
dern auch unter Magenschmerzen, Verdauungsbeschwerden und Hämorrhoi-
den.
Die ausführliche Interpretation von Grimm weist vor dem ähnlichen Lei-
dens-Hintergrund beider Autoren auf vielfältige Parallelen zwischen N.s Lied
des Ziegenhirten und Heines Liebeslyrik hin. Für die hier zu kommentierende
Stelle erinnert Grimm an die Verse „Ich liege krank im Gras; / Ich höre fernes
Klingen" aus dem fünften Gedicht des Zyklus Neuer Frühling (vgl. Grimm 1985,
220), den Heine in den Neuen Gedichten (1844) veröffentlichte. Auch für die
,unpoetischen' Nomina „Gedärme" und „Wanzen" führt Grimm Belegstellen
bei Heine an (vgl. Grimm 1985, 220 f.). Der späte N. schreibt in Ecce homo:
„Den höchsten Begriff vom Lyriker hat mir Heinrich Heine gegeben." (EH
Warum ich so klug bin 4, KSA 6, 286, 14 f.) In seiner persönlichen Bibliothek
besaß N. zwei Heine-Bände: Neue Gedichte, Hamburg 1844 (mit Lesespuren),
und Letzte Gedichte und Gedanken, Hamburg 1869 (NPB 282).
337, 26 Ich hör's, sie tanzen.] Auch der fröhliche Tanz, von dem der unglück-
lich Liebende ausgeschlossen bleibt, bildet ein wiederkehrendes Motiv in Hei-
nes Lyrik (vgl. Grimm 1985, 217 f.). - KSA 14, 230 teilt hierzu eine Vorstufe mit,
in der zwischen dieser und der folgende Strophe noch drei weitere Verse fol-
 
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